Bis ins Mark
8. März 2022
Autobiografischer Roman über die tägliche Erfahrung von Rassismus und Gewalt
Die TV-Autorin und Kolumnistin Jasmina Kuhnke, die unter dem Namen »Quattromilf« twittert, musste selbst erleben, wie rechte Hetze und Bedrohung online wie eine Flutwelle über eine hereinbrechen kann. Im Frühjahr 2021 wurde ihre Adresse online veröffentlicht und zu Gewalt gegen sie aufgerufen, so dass sie und ihre Familie umziehen mussten. Im Herbst 2021 hat sie sich öffentlich positioniert, ihren Debütroman nicht auf der Frankfurter Buchmesse vorzustellen, da dort Neonazis eine Plattform geboten werde. Wenig verwunderlich, dass ihr erster Roman die Wirkung von Rassismus und Sexismus sowie den Kampf für die eigene Existenz beschreibt.
Das Buch beginnt mit einer Inhaltswarnung in Bezug auf explizite Gewalt und Sprache, die in diesem Roman beschrieben und wiedergegeben werden. Und diese Inhaltswarnung ist notwendig, wird doch aus der Sicht der namenlos bleibenden Icherzählerin aufgezeigt, wie sich Rassismus und die Alltäglichkeit psychischer und physischer Verletzungen in Menschen einschreibt. Zwischen unterschiedlichen Zeiten wechselnd, beschreibt das Buch zum einen das Aufwachsen als kroatisch-schwarzes Kind in einer weißen Familie in den 90er-Jahren im Ruhrgebiet. Liebe zum Sport und zur Großmutter wird hier ebenso sichtbar gemacht wie der alltägliche Rassismus und was diese Abwertung mit einem Kind macht, welches sich nach Anerkennung und Liebe sehnt. Die Beschreibungen der namenlos bleibenden Icherzählerin sind dabei nicht als Fiktionen zu sehen, sondern spiegeln die Erfahrungen schwarzer und rassifizierter Frauen in Deutschland wider – seien es die biologistischen Erklärungen für sportliche Erfolge, die ständige Ansprache mit dem N-Wort, die Verweigerung von Unterstützung, weil die Krankenpflegerin nicht gern schwarze Menschen anfasse, oder die direkte Gewalt von Neonazis in der Schule und auf der Straße.
Zum anderen werden Erlebnisse innerhalb einer gewalttätigen Partnerschaft beschrieben, für die sich die Icherzählerin mitverantwortlich fühlt und die sie im Laufe des Buches schafft zu beenden. Die Sorge um das Aufwachsen ihrer Kinder und die Kraft sowie das Empowerment, welches sie aus dem Schreiben gewinnt, ermöglichen ihr, einen Ausweg aus einer Beziehung zu finden, in der kein Raum für sie als Person ist. Die Icherzählerin erreicht dies selbst, ohne fremde Hilfen und trotz der Schwere der Situation, der Erschöpfung und der chronischen Erkrankungen, mit denen sie zu kämpfen hat.
Das Buch zeigt Verbindungslinien zwischen rassistischen Ausgrenzungs- und Gewalterfahrungen von Kindern und der misogynen Demütigung durch Partnerschaftsgewalt. Dabei ist die Sprache genauso gewaltvoll und knallhart wie die Erlebnisse, die beschrieben werden. Emotional bewegt und bedrückend spürt man beim Lesen die Resignation, die die wiederholte rassistische Beurteilung mit sich bringt. Man fühlt die Wut und Verzweiflung, die mit dieser Ungleichbehandlung einhergeht. Jasmine Kuhnke zeigt eindrücklich, wie die ständige Abwertung zur Selbstabwertung, dann auch zur Selbsterklärung von Gewalterfahrungen wird. Dies zu lesen tut weh, soll wehtun, geht bis ins Mark – und ist doch so wichtig.