Persönliche Aufarbeitung
8. März 2022
Als Enkelin wagt Nora Hespers die Auseinandersetzung mit dem Großvater
Der Widerstandskämpfer Theo Hespers ist außerhalb seiner Geburtsstadt Mönchengladbach kaum bekannt. Es ist das Verdienst der Enkelin Nora Hespers, seine Geschichte ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Zunächst in Form eines Blogs, nun auch als Buch. »Mein Opa, sein Widerstand gegen die Nazis und ich« versucht sich aber nicht nur an einer Einordnung der historischen Figur Theo Hespers, sondern bemüht sich auch um eine gegenwärtige, ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte.
Zur historischen Einordnung … Wir erfahren im Buch auf der historischen Ebene zunächst über den katholischen Widerstand in Teilen der Bündischen Jugend und die Rolle Theo Hespers’ (geb. 1903) in dessen Aufbau. Er war Organisator, Vermittler, Publizist – und damit prägende Persönlichkeit im Widerstand der bündischen Jugendverbände gegen den Nationalsozialismus. Seine Motivation schöpfte er aus einem religiös begründeten Humanismus, der ihn bemerkenswerterweise schon sehr früh in den 1930er Jahren zum Widerstand brachte.
Wegen seiner Tätigkeiten rückte er bald in den Fokus der Gestapo und wurde schließlich im Jahr 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Während Nora Hespers einen guten Überblick über das Wirken ihres Großvaters gibt und sowohl unveröffentlichte Manuskripte von Weggefährt*innen sowie Zeitzeug*inneninterviews (vor allem mit ihrem im Jahr 1931 geborenen Vater) interessante historische Quellen sind, versagt die historische Einordnung an anderer Stelle. Etwa dann, wenn ein Weggefährte des Großvaters, Hans Ebeling, ohne den Kontext seiner nationalrevolutionären Ideologie vorgestellt wird, oder Leerstellen im Wissen über die Verfolgungsgeschichte von Theo Hespers durch Mutmaßungen gefüllt werden.
… und zur gegenwärtigen Auseinandersetzung
Dem Buch von Nora Hespers merkt man an, dass die Auseinandersetzung mit dem Großvater nicht nur zu dessen Sichtbarkeit beitragen soll, sondern für die Enkelin damit auch eine kathartische Hoffnung verbunden ist. So führt die Arbeit am Buch beispielsweise zu einer Annäherung an den eigenen Vater (den Sohn von Theo Hespers), mit dem seit 15 Jahren kein Kontakt mehr bestand. Ohne ihm den Liebesentzug und die emotionale Vernachlässigung zu verzeihen, entsteht doch Verständnis für sein Verhalten. Das ist interessant und lesenswert, obwohl oder gerade weil ein Großteil der deutschen Leser*innenschaft keine Widerstandskämpfer*innen, sondern Täter*innen in der Familie hat. Vielleicht entsteht so die Möglichkeit eines ehrlichen Blicks zurück, ohne der üblichen Verklärung der eigenen Familiengeschichte zu verfallen.
Schönfärberei der Bundesrepublik
Weniger gelungen sind die Passagen über gegenwärtige Gefahren rechter und rassistischer Gewalt in Deutschland. Zwar wird durchaus auf den Unterschied zwischen Naziterror im Nationalsozialismus und Naziterror in einer Demokratie hingewiesen – dies passiert jedoch über die eigene Vergewisserung über ein antifaschistisches Deutschland. Es gibt zwar Pegida, es brennen auch Unterkünfte von Geflüchteten, die Mehrheit der Deutschen befände sich aber auf der Seite der Guten. Interessanterweise parallelisiert die Autorin dennoch ihr eigenes Engagement mit dem Widerstand des Großvaters und tappt so in verschiedene Fallen des Vergleichs, der zur Gleichsetzung wird: Oftmals hilft diese weder der historischen Analyse des NS noch dem Verstehen gegenwärtiger menschenfeindlicher Tendenzen. Außerdem erhält Nora Hespers’ Engagement nicht erst durch den Vergleich mit dem Großvater Gewicht.
Lektorat versagt
Leider fällt »Mein Großvater, sein Widerstand gegen die Nazis und Ich« zu oft durch historische Ungenauigkeiten, psychologische Lai*inneneinschätzungen und bürgerliche Naivität auf. Hier trägt insbesondere das Suhrkamp-Lektorat Verantwortung, das beim Transfer von einem Blog ins Buch versagt hat. Das ist schade, denn die Geschichte Theo Hespers’ ist unbedingt erzählens- und die persönliche Aufarbeitung Nora Hespers’ bemerkenswert.