Verdacht und Wirklichkeit
8. März 2022
AfD: Gutachten belastet die Partei erheblich. Personalwechsel mit alten CDU-Bekannten
Im März plant das Verwaltungsgericht Köln darüber zu entscheiden, ob die AfD trotz ihres grundgesetzlich geschützten Parteienstatus vom Bundesamt für Verfassungsschutz (VS) als »Verdachtsfall« bezeichnet und behandelt werden kann. Die AfD hatte dagegen geklagt und dem Amt die Bezeichnung als Verdachtsfall bis zur gerichtlichen Klärung untersagt. Das Bundesamt hat für diese Einstufung ein Gutachten anfertigen lassen. Dieses habe die nachrichtendienstliche Beobachtung des als besonders radikal geltenden und mittlerweile formal aufgelösten »Flügels« und der Jugendorganisation »Junge Alternative« ergeben, berichteten WDR und NDR.
Umsturzfantasien
Nach Einschätzung des VS hätten die Vertreter des offiziell 2020 aufgelösten »Flügels« bei Abstimmungen an Stärke gewonnen und seien in mehreren ostdeutschen Verbänden ohnehin führend. So sei das Parteiausschlussverfahren gegen Andreas Kalbitz wirkungslos geblieben. Kalbitz sei weiter als parteiloses Mitglied für die AfD in Brandenburg tätig und mehrfach als Redner auf AfD-Podien aufgetreten. Gleiches gelte für den ausgeschlossenen brandenburgischen Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann. Der wurde dennoch in einem AfD-Kreisverband als parteiloser Kandidat aufgestellt. Die Kampfansage des ehemaligen AfD-Parteichefs Jörg Meuthen und etwa eines Dutzends weiterer Parteivorstände sei gescheitert. Belege für die AfD-Radikalisierung lieferte auch der Bayerische Rundfunk (siehe Marginalie).
All diese Belege stützen die Einschätzung der verfassungswidrigen Ausrichtung der AfD. Allerdings ist die Beständigkeit solcher Einschätzungen nicht garantiert. Immer wieder sind sie der politischen Erosion unterzogen, wie der peinliche Eingriff der Geheimdienstler in das erstellte Gutachten zur AfD noch vor einem Jahr beweist. Am 19. Januar 2021 hatte der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, zusammen mit Innenminister Horst Seehofer und dessen Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke das Gutachten diskutiert, woraufhin markante Punkte der Einschätzung abgeschwächt wurden. Die Kritik am Satz »Der Islam gehört nicht zu Deutschland« fiel danach deutlich schwächer aus. Den Islam als Ganzes als nicht zu Thüringen und zu Deutschland zugehörig anzusehen, begründe isoliert betrachtet noch keine Verfassungsschutzrelevanz, heißt es jetzt im Gutachten. Auch die ablehnende Haltung gegen Zuwanderung sollte zunächst als Beleg für Verfassungsfeindlichkeit gelten. Nun heißt es aber: Das Eintreten für eine restriktive Einwanderungspolitik sei für sich genommen verfassungsschutzrechtlich unbedenklich.
AfD politisch angeschlagen
Politisch ist die AfD stark angeschlagen und geht besonders zerstritten in vier Landtagswahlen in den alten Bundesländern, wo sie relativ schwach vertreten ist. Auch im Bundestag verlor die AfD erneut zwei Abgeordnete. Uwe Witt begründete seinen Austritt aus der Bundestagsfraktion mit »Grenzüberschreitungen« von AfD-Mitgliedern. Johannes Huber ging, weil er selbst für eine solche Grenzüberschreitung verantwortlich war, indem er für das Umgehen der 2G-Regelungen in einer geschlossenen Chatgruppe warb. Derweil filmt AfD-Rechtsaußen Björn Höcke seit Wochen bei Corona-Demos und gibt in unverhohlener Umsturzrhetorik Tipps, Polizeimaßnahmen zu unterlaufen. In ähnlichem Fahrwasser bewegt sich auch der bayerische Bundestagsabgeordnete Peter Boehringer. Für ihn seien Impfungen für Menschen unter 60 Jahren unverantwortlich, kolportierte er Corona-Fake-News. Die AfD versucht gezielt, neue Zielgruppen zu erschließen, und drängt dazu auf die Straße, um für die eigene Agenda zu werben. Dabei nehmen verschwörungsideologische Inhalte und Vergleiche mit totalitären Regimen zu.
Zu einem beachtlichen Personalwechsel im rechten Parteiensumpf kam es Ende Januar: Als Sieg des rechten Flügels in der AfD kann dabei der Parteiaustritt des ehemaligen Vorsitzenden Jörg Meuthen angesehen werden. Dessen Vorgehen gegen Kalbitz hatte ihn zunehmend isoliert.
Während Meuthen aus der AfD austrat, ist Erika Steinbach in die AfD eingetreten. Sie sympathisierte bereits seit längerer Zeit mit der AfD-Politik und ist Vorsitzende der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Die ehemalige CDU-Abgeordnete war auch langjährige Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen. Zugleich will sich der ehemalige AfD-Abgeordnete Uwe Witt zukünftig einer neuen Zentrumspartei widmen, während der Chef der CDU-Strömung Werteunion, Max Otte, für die AfD als Bundespräsident kandidierte. Dazu passt, dass er 2020 und 2021 insgesamt 30.000 Euro an AfD-Gliederungen spendete. Seinen Vorsitz in der Werteunion legte Otte nieder. Er wolle sich aus der aktiven Politik zurückziehen. Der rechte Expräsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen (CDU), kündigte fast zeitgleich seinen Austritt aus der Werteunion an. Die personellen Wechsel und Berührungspunkte der AfD mit dem rechtskonservativen politischen Lager sind mittlerweile unübersehbar.
Ein Rechercheteam des Bayerischen Rundfunks stöberte 2017 bis Mitte 2021 in Chatgruppen von Landtags- und Bundestagsmitgliedern der AfD. Darin wurden die Legitimität von Wahlen angezweifelt und Umsturz- und Bürgerkriegsideen erörtert (siehe Januarausgabe der antifa). Gegen die Verfassung verstießen Äußerungen von 40 Parteifunktionären, etwa die von Thomas Seitz, der Migranten abwertet. Für ihn sei die deutsche Staatsbürgerschaft nicht entscheidend für die »Zugehörigkeit zum deutschen Volk«.