Die Täter finden
13. Mai 2022
Eine Graphic Novel über Beate und Serge Klarsfeld und ihr antifaschistisches Wirken
Graphic Novels sind inzwischen in der Popkultur angekommen, allerlei Geschichten werden in diesen grafischen Romanen erzählt. Ferner viele Geschichten von Überlebenden der nationalsozialistischen Verbrechen. »Beate & Serge Klarsfeld –
Die Nazijäger« reiht sich hier ein, geht aber um einiges darüber hinaus. Vor allem behandelt das Buch das Wirken der beiden Antifaschist*innen nach 1945 und erzählt dem Publikum, was Einzelpersonen erreichen können. Beispielhaft steht dafür die Jagd, die Entführung und die Verurteilung von hochrangigen NaziverbrecherInnen wie etwa Klaus Barbie, dem als »Schlächter« bekannt gewordenen Gestapo-Chef von Lyon, der sich in Bolivien unter falschem Namen versteckte.
Ohrfeige für Kiesinger
Der Graphic Novel ist ein Vorwort von Serge Klarsfeld vorangestellt, in dem er zum Ausdruck bringt, wie sehr er sich über die Veröffentlichung der verschriftlichten Erinnerung von ihm und seiner Frau in Comicform freut, da ihre Geschichte so möglicherweise auch ihre Enkel früher erreichen könne. Im Anhang des Buches sind Originalfotografien abgedruckt, die die Familie Klarsfeld zeigen. Dadurch erhält der Band einen stark authentischen Charakter. Gerade das Vorwort lässt vermuten, dass keine oder nur wenige dramaturgische Anpassungen vorgenommen wurden.
Die Handlung der Novelle beginnt im April 1968 mit Beate Klarsfelds berühmt gewordener Ohrfeige, die sie dem Bundeskanzler und einstigen NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger verpasste. Die Autor*innen Pascal Bresson und Sylvain Dorange weben sehr geschickt Rückblenden ein, in denen unter anderem die Überlebens- und Verfolgungsgeschichte von Serge und seiner Mutter Raissa Klarsfeld in Frankreich eingeführt wird. Auch das Kennenlernen von Beate Künzel und Serge Klarsfeld wird als Rückblende mit dem Erzählstrang verknüpft. Beate Klarsfeld kommt 1969 aus Deutschland als Au-pair nach Frankreich, wo sie Serge Klarsfeld kennenlernt. Er erzählt ihr, wie sein Vater vor seinen Augen von der Gestapo abgeführt wurde. Serge und seine Mutter Raissa überlebten den Nationalsozialismus und die kollaborierende Vichy-Regierung im Versteck. Mit dem Blick nach Deutschland beschließen Beate und Serge Klarsfeld, etwas gegen das Schweigen zu den Verbrechen der Nationalsozialisten unternehmen zu wollen.
Halbe Welt bereisen
Auch das Thema der Rache verarbeiten Bresson und Dorange in der Publikation. Bevor das erste Kind der Klarsfelds, Arno David, benannt nach Serge Klarsfelds Vater, geboren wird (1965), besucht dieser die Gedenkstätte Auschwitz, wo sein Vater ermordet wurde. Serge Klarsfeld beschließt, sich seiner Vergangenheit zu stellen, um ein guter Vater sein zu können. Fragen danach, warum er überlebte und so viele andere Juden*Jüdinnen nicht, beschäftigen ihn, wie so viele andere Überlebende auch. Er will seinem Überleben auf diese Weise einen Sinn geben: Die Täter finden und vor Gericht bringen. Und das vollbringen die Klarsfelds schließlich gemeinsam – dafür bereisen sie die halbe Welt.
Keine Verurteilung
Auch wer die Geschichte der Klarsfelds bereits kennt, dieses Buch wird eine Bereicherung sein –
die Visualisierung ist angemessen und bestens umgesetzt. Die Graphic Novel ist spannend wie ein Abenteuerroman, mit einer Protagonistin, die sich durch nichts aufhalten lässt. Selbst schwanger jagte Beate Klarsfeld NaziverbrecherInnen hinterher.
Einzig über ihre Herkunft, die Familie Künzel, erfahren die Leser*innen nichts. Dem Publikum werden während des Lesens jedoch die Komplexität und die Schwierigkeiten in den internationalen Beziehungen hinsichtlich der Auslieferung von NaziverbrecherInnen deutlich vor Augen geführt. Die Folge: Das Ausbleiben der Verurteilung etlicher von ihnen. Die Kritik an bestehenden Verhältnissen zeigt sich zwar subtil, wird aber dennoch deutlich. »Beate & Serge Klarsfeld – Die Nazijäger« überzeugt auf allen Ebenen, und seine Lektüre wird daher dringend empfohlen!