Allgegenwärtige Erinnerung
13. Mai 2022
Biografie zu Ruth Gröne erschienen
Ruth Gröne ist eine der letzten Zeugen, die die Schikanen und den Terror der Faschisten in Hannover erleiden mussten. Sie hat einen großen Teil ihres Lebens danach der Aufgabe gewidmet, die Erinnerung an diese Zeit wachzuhalten: in der Initiative für das Mahnmal am ehemaligen KZ Ahlem. Sie wurde dafür vielfach geehrt, mit dem Bundesverdienstkreuz und zahlreichen Auszeichnungen der Landeshauptstadt und der Region Hannover. Eng verbunden ist sie der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule in Ahlem. Dort musste sie einen Teil ihrer Kindheit verbringen, nachdem die Schule zum »Judenhaus« gemacht worden war. Anja Schade, Mitarbeiterin der Gedenkstätte Ahlem, hat Ruth Gröne zu jener Zeit befragt und eine Biografie im Rahmen der Schriftenreihe der Gedenkstätte herausgebracht.
Diese ist aus vielen Gründen bemerkenswert: als Geschichte einer jüdischen Familie im ländlichen Raum; als Versuch der Integration in eine liberale gesellschaftliche Umgebung; als Leidensweg unter der antisemitischen Verfolgung während der faschistischen Herrschaft; danach die schrittweise Rückkehr in eine humane Normalität und dann der beispielhafte Kampf »gegen das Vergessen«. Die vielen dabei plastisch geschilderten Einzelschicksale und Personen ermöglichen geschichtliche Reflexion. Besonders das reiche Bildmaterial bietet einen anschaulichen Einblick in die neuere Stadtgeschichte Hannovers. Erschütternd sind die Kurzbiografien im Anhang: Oft enden sie 1941 in Riga oder im »Arbeitserziehungslager« Lahde.
Zum besseren Verständnis von Ruths Werdegang und Lebensleistung sollen hier entscheidende Etappen ihres Lebens kurz dargestellt werden: Ihr Vater Erich Kleeberg (1902–1945) löste sich schon in seiner Jugend aus dem ländlichen gewerblichen Milieu seiner Familie. Er besuchte ein interreligöses Internat in Seesen, wo Christen und Juden im Geist religiöser Toleranz erzogen wurden. In der Kaufmannslehre in Kassel begegnete er der christlich erzogenen Maria Beck (1901–1978). Entgegen dem Willen seines Vaters heirateten die beiden 1931.
Als Ruth 1933 zur Welt kam, begannen die ersten brutalen Repressionen: Das Kaufhaus, in dem ihr Vater arbeitete, wurde »arisiert« und Erich auf die Straße geworfen. Drei Jahre musste er die Familie mit Gelegenheitsarbeit über Wasser halten. 1936 erlangten er und Maria dann eine Anstellung als Hausmeister in den Wohnanlagen einer jüdischen Stiftung und konnten dort auch einziehen. Ruth verlebte hier eine glückliche Kindheit mit vielen Spielkameraden verschiedener Konfessionen.
Mit der Pogromnacht 1938 endete dieses Glück: Die Spielkameraden der Straße hielten sich von ihr fern, die gemeinsame Einschulung wurde verboten, nur der Besuch einer jüdischen Grundschule war für kurze Zeit noch möglich. Da ihre Großeltern in Boffzen enteignet und vertrieben worden waren, zogen sie mit in die kleine Wohnung, bis alle auch dort verjagt und in »Judenhäuser« gepfercht wurden. Für die Großeltern und viele andere Verwandte, denen die Emigration nicht glückte, war im Dezember 1941 Riga die Endstation und der Tod.
Im Chaos des Bombenkriegs wurden Ruth und ihre Familie 1943 obdachlos, fanden aber eine Bleibe in Ahlem. Dorthin zog aber auch die Gestapo mit ihrer Zentrale, ihren Kerkern und ihren Mordaktionen. Ruth erlebte deren Verbrechen, litt Hunger und musste vor den Bomben in einen Asphaltstollen fliehen. Direkt daneben waren die Stollen, in denen die KZ-Häftlinge aus Neuengamme für die Firma Conti schufteten und starben. Ihr Vater wurde inhaftiert und schließlich noch im Februar 1945 nach Neuengamme verschleppt. Er starb im April 1945 in Sandbostel.
Nach der Befreiung Hannovers am 10. April begann ein langer Weg in eine gesicherte Normalität –
für Ruth ging es bald auch wieder zur Schule, und es folgte der erfolgreiche Abschluss einer Berufsausbildung. Sie lernte Ludwig Gröne (1927–2016) kennen. Unweit des Ahlemer Notquartiers gelang es, ein Grundstück für die beiden zu bebauen, auf dem später auch ihre Mutter Heimat fand. Aus der Ehe gingen eine Tochter und ein Sohn hervor.
Aber in der unmittelbaren Nachbarschaft des Schreckensortes ihrer Kindheit waren ihre Erinnerungen stets gegenwärtig. Erst als 1976 darangegangen wurde, dort eine Gedenkstätte zu errichten, war sie bereit, darüber öffentlich zu reden. So war sie von Anfang an mit diesem Projekt verbunden, das 1987 eröffnet wurde und nach seinem großzügigen Ausbau 2007 seine heutige Gestalt erhielt.
Auch das benachbarte KZ mit seinen Asphaltstollen war für sie immer gegenwärtig. Die Kreisvereinigung der VVN/BdA hatte dort zwar schon 1985 eine Gedenktafel errichtet, die aber bald wieder beseitigt wurde. 1987 gründete sich dann unter Ruths wesentlicher Beteiligung die »Arbeitsgemeinschaft Bürger gestalten ein Mahnmal«, die in langer Arbeit dem Ort seine Gestalt verlieh. Durch ihren Einsatz bei der Erinnerungsarbeit in Schulen hat Ruth es erreicht, dass eine benachbarte Schule eine Patenschaft für das Mahnmal übernahm und mit eigenen Beiträgen an den Gedenktagen beteiligt ist.