Alle Gruppen vertreten
13. Mai 2022
Dokument gibt Einblick in Entstehungsgeschichte der bayerischen VVN
Für die VVN-Vorstandswahlen des Bezirks München im Februar 1948 wurden von allen damals zugelassenen demokratischen Parteien sowie aus dem Kreis der »rassisch Verfolgten«, von Frauen und Parteilosen vorab jeweils zwei Personen (bzw. eine Person) benannt, die dann in geheimer Wahl im Grunde nur noch bestätigt worden sind. Die drei Vorsitzenden mussten verschiedenen »Gruppen« angehören und wurden in der Reihenfolge der abgegebenen Stimmen ermittelt.
Dieses Verfahren ging zurück auf die eigentliche Entstehung der Münchner und damit auch der bayerischen VVN. Aus Enttäuschung über die schleppende Wiedergut-machung trafen sich Anfang Oktober 1946 im Münchner Rathaus Verfolgte aus allen Parteien sowie rassisch Verfolgte und beschlossen die Gründung einer eigenständigen Organisation. Ziel war es, die Verabschiedung eines Gesetzes zur Wiedergutmachung zu beschleunigen und auf das große Elend von vielen Verfolgten und deren Angehörigen hinzuweisen, während gleichzeitig ehemalige Nazis noch ungeschoren in Freiheit waren und der Antisemitismus wieder zunahm.
Geist der Solidarität
In diesem Geist der Solidarität erfolgte dann auch die große Gründungsversammlung der bay-erischen VVN am 26. Januar 1947, in der der VVN-Mitgründer und Staatskommissar für die rassisch, religiös und politisch Verfolgten, Philipp Auerbach, und der designierte Landesvorsitzende der VVN, der Münchner Arzt und Sozialdemokrat Ludwig Schmitt, sprachen.
Das Archivstück von 1948 beleuchtet also die Gründungsgeschichte der bayerischen VVN und widerlegt damit auch eine oft wiederholte Behauptung, wonach die Gründung der VVN »auf Initiative und unter prägendem Einfluss« der Kommunistischen Partei erfolgt sei (so in einer Erwiderung der Regierung von Oberbayern vom 11. August 2011 auf eine Klage der bayerischen VVN-BdA gegen deren Nennung im Verfassungsschutzbericht).
Das Dokument ist aber nur eine Momentaufnahme des Jahres 1948. Denn bereits Ende des darauffolgenden Jahres war es mit der paritätischen Besetzung der Vorstandsposten vorbei.
Antikommunistisches Klima
Der »Kalte Krieg« zwischen Ost und West mit seinen Konflikten zwischen den Siegermächten zwang die politischen Parteien zur Entscheidung: »Freund« oder »Feind«, »Ost« oder »West«. Trotzdem wollte die VVN an den gemeinsamen überparteilichen Interessen festhalten, mehrheitlich aber auch die Bindung zu den KameradInnen in der Ostzone pflegen und mit ihnen gegen die drohende Spaltung Deutschlands und die beginnende Aufrüstung im Westen eintreten. In dieser Haltung sahen die nicht kommunistischen Parteien eine unzulässige allgemeinpolitische Aktivität und eine kritiklose Parteinahme zugunsten der Politik der Ostzone und der KPD bzw. SED; damit war für sie die Überparteilichkeit der VVN verletzt. Die Folgen im aufgeheizten antikommunistischen Klima dieser Jahre waren die Gründung jeweils eigener Verfolgtenorganisationen durch SPD und CDU/CSU und Austritte vieler Mitglieder aus der VVN. Obwohl sich damit die Präsenz von Kommunist*innen in der VVN deutlich verstärkte, verblieb eine Reihe von Mitgliedern insbesondere der SPD und übte teilweise weiterhin Funktionen aus.
Trotzdem: Das ursprüngliche Projekt einer paritätisch besetzten VVN München und Bayern war Geschichte. Erhalten blieb aber der Anspruch der VVN, sich über Partei- und weltanschauliche Grenzen hinweg für die Erinnerung an Widerstand und Verfolgung einzusetzen und Nazipropaganda entgegenzutreten. Solche Gemeinsamkeit zeigte sich Mitte der 1960er-Jahre in einer weiteren bayerischen Besonderheit: In der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Verfolgtenverbände (ABV) waren neben der VVN auch alle anderen Verfolgtengruppen und Gewerkschaften vertreten.