Reich, rechts, mächtig
1. Juli 2022
David de Jongs Buch »Braunes Erbe« über Nazimilliardäre à la Flick, von Finck, Quandt und Oetker
BMW, Mercedes-Benz, Porsche, Allianz, Oetker. Wie sind diese deutschen Weltkonzerne wohl groß geworden? Die vier reichsten Männer in der BRD waren 1970 Friedrich Flick, August von Finck, Herbert Quandt und Rudolf-August Oetker. Den entscheidenden Teil ihrer enormen Vermögen konnten sie ab 1933 erwerben, in der Stahl- und Rüstungsindustrie, bei Versicherungen sowie Banken und in der Lebensmittelindustrie. Der langsame Aufstieg dieser Familienclans in den zwanziger Jahren, der rasante Weg in die höchsten Machtpositionen im deutschen Faschismus, das kurze Straucheln nach dem 8. Mai 1945, die spektakuläre Rückkehr an die Spitze seit den 1950er-Jahren in der Alt-BRD und die heutige Debatte um die Nazimilliardäre sind Themen des Buches »Braunes Erbe« des niederländischen Wirtschaftsjournalisten David de Jong.
Die Konzernchefs teilten nach dem Ende des Kaiserreichs die republikfeindlichen und reaktionären politischen Vorstellungen des deutschnationalen Milieus. Das erleichterte die bewusste Annäherung an Hitler und die NSDAP mit sehr großen Spenden und regelmäßigen Treffen ab 1930. Für alle sichtbar wurde dieses Zusammengehen durch die Heirat von Joseph Goebbels mit Magda Quandt, zuvor Ehefrau Günther Quandts, dem Besitzer der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM) und der AFA-Werke (später Varta).
Auf dem Buchumschlag der deutschsprachigen Ausgabe von »Braunes Erbe« ist ein Foto der faschistischen Prominentenfamilie abgedruckt, auf dem Joseph und Magda Goebbels mit dem Quandt-Sohn Harald zu sehen sind. Nach der von ihnen mit vorangetriebenen Zerstörung der Weimarer Republik 1933, haben Quandt, Flick, Finck, Porsche und Richard Kaselowsky (Oetker) zwölf Jahre lang immer schneller an Aufrüstung und »Arisierung« verdient. Alle waren sie Mitglieder in Himmlers »Freundeskreis Reichsführer SS« und der NSDAP.
Zwangsarbeiter:innen ausgebeutet
Im Zweiten Weltkrieg kam es zum systematischen Einsatz von Zwangsarbeiter:innen. Skrupellos wurden die vielen Verschleppten ausgebeutet, allein bei Quandt waren das 57.500 Menschen. »Mindestens 403 Menschen starben in Günther Quandts (…) AFA-Werk«. Eingesperrt in Lager, gefährdet durch Arbeit, Unfälle, Hunger und Krankheit, von Ermordung bedroht, wurden viele Zwangsarbeiter:innen schließlich auf die Todesmärsche geschickt. 1.016 Menschen wurden im April 1945 Opfer eines grausamen Verbrechens in einem der AFA-Werke in Gardelegen (in der Altmark im heutigen Sachsen-Anhalt). Bei dem Nazimassaker wurden die KZ-Häftlinge lebend in einer Feldscheune verbrannt. Einige, die sich vor dem Feuer retten konnten, wurden sofort erschossen, nur ganz wenige überlebten.
Nach der Befreiung musste sich nur Friedrich Flick vor Gericht verantworten. Die Taten der anderen Unternehmer blieben ungesühnt, geschützt durch die alten Netzwerke und durch Persilscheine.
Die mit Zwangsarbeit erweiterten und modernisierten Fabriken waren die Grundlage der »Wirtschaftswunder« genannten Restauration in der BRD der 1950er-Jahre. – Alle Wirtschaftsbosse kehrten an die Spitzen der Firmen zurück und setzten ihre Geschäfte erfolgreich fort. Keiner gestand die Beteiligung am deutschen Faschismus ein, niemand distanzierte sich. Sogar die rechte Ideologie und neofaschistische Politiker wurden durch August von Finck weiter unterstützt.
Verhalten gegenüber eigener NS-Geschichte
Die Stärke des »erzählenden Sachbuches« von David de Jong sind die Kapitel über die Nachkriegszeit, die BRD und vor allem der letzte Teil über das Verhalten der Milliardärsfamilien gegenüber der eigenen NS-Geschichte bis heute.
De Jong schildert, dass auch die Familie Reimann ihren Reichtum einem Nazivorfahren verdankt. Während Reimanns – die Familie gehört heute zu den reichsten Deutschen – den Weg der Aufklärung und Wiedergutmachung eingeschlagen haben, verharren die anderen Familien in Schuldabwehr durch Verleugnung und Relativierung.
Zentrale Schwäche des Buches ist seine Unvollständigkeit, dadurch entsteht ein schiefes Bild des NS-Faschismus. Der Autor fokussiert sich auf wenige Personen, und entscheidende Akteure fehlen, so Carl Duisberg und die Chemieindustrie. Ohne die IG Farben etwa bleibt die Übertragung der Macht an die Nazis am 30. Januar 1933 unverständlich. Während Schacht, Thyssen, Krupp, Schmitt zumindest erwähnt werden, heißt es bei David de Jong nur »Manager des Chemiekonglomerats IG Farben und des Kaligiganten Wintershall«. Zugleich verliert sich der Autor stellenweise in Klatsch und Tratsch zu Hitler, Goebbels, Magda und Günther Quandt. Überhaupt wird Quandt sehr nachsichtig behandelt. »Obwohl er zum größten Waffenproduzenten des ›Dritten Reichs‹ geworden war, wollte Günther Quandt keinen Krieg«, heißt es lapidar.
Und eine naheliegende Frage in Richtung Verlag: Warum wurde »Nazi Billionaires«, der englische Originaltitel des Buches, nicht einfach übersetzt? »Nazimilliardäre« trifft es doch viel besser als »Braunes Erbe«.