No deals with germany
4. September 2022
Eine erinnerungspolitische Posse aus der Bonner Republik
Der Titel des Buchs von Jacob S. Eder »Holocaust-Angst« ist Programm: Die Regierung der Bundesrepublik wurde bereits Ende der 70er irritiert durch Informationen, dass die US-Regierung eine zentrale Holocaustgedenkstätte in Washington plane. Der damalige US-Präsident James Carter hatte »zum angemessenen Gedenken an die Opfer des Holocaust« die Kommission für die Gestaltung eines entsprechenden Konzepts für das spätere »United States Holocaust Memorial Museum« (USHMM) eingerichtet. In dieser Zeit war die Aufmerksamkeit vieler US-Bürger:innen – insbesondere ausgelöst durch die TV-Serie »Holocaust« – auf die Millionen Opferschicksale europäischer Juden in der NS-Diktatur gerichtet. Anfang der 80er-Jahre schrillten dann die Alarmglocken bei der BRD-Regierung, weil die Gedenkstätte in Washington primär aus der Opferperspektive geplant werden sollte. Der Regierung Kohl erschien das als ein Affront: Sie befürchtete, dass »die deutsche Geschichte mit dem Segen der US-Regierung auf den Holocaust reduziert werden würde. So ging man davon aus, dass das USHMM nur Juden als Opfer, Amerikaner als Befreier und Deutsche allein als Täter darstellen würde«.
Das erschien der Kohl-Regierung als Bedrohung ihres eigenen Deutschlandbildes, zumal sie bis dahin überwiegend durch Wiedergutmachungsaktivitäten die Holocaust-Nachgeschichte in den Griff zu bekommen versuchte. Vergangenheitsbewältigung und nicht Vergangenheitsvergegenwärtigung war das zentrale Credo der Regierung. Kohls öffentliches NS-Geschichtsnarrativ war laut Eder: »Allein ein harter Kern von überzeugten Nationalsozialisten sei für das verbrecherische Regime verantwortlich gewesen, welches das deutsche Volk ›geblendet‹ habe, während die große Mehrheit der Deutschen – Zivilisten wie Soldaten – vor allem als Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu verstehen sei« (S. 91). Das war deutsche Selbstviktimisierung und somit Opfer-Konkurrenz zu den eigentlichen Opfern.
Positives Deutschlandbild implementieren
Was folgte war eine einzigartige Posse der Bonner Republik: Ein verzweigtes Netz von zahlreichen offiziellen und inoffiziellen Repräsentanten der Bundesregierung mühte sich mit vielfältigen Mitteln und Methoden, um Einfluss auf die Gestaltung der Gedenkstätte in Washington im Planungsprozess zu gewinnen. Über etliche Jahre hinweg war diese Reisediplomatie von Bonn in die USA von der Mission getragen, ein positives Deutschlandbild in dem Konzept zu implementieren. Alle diese Bemühungen scheiterten (S. 296): Der Vorsitzende der USHMM-Kommission William J. Lowenberg – selbst Auschwitzüberlebender – stellte klar: »I donʼt make deals with germans« (S. 173). Der Botschafter der BRD in den USA, Wolf Calebow: »Das warʼs. Kein Entgegenkommen, nicht einmal das kleinste Zeichen des Entgegenkommens« (S. 191). Am 22. April 1993 wurde das USHMM mit dem Titel »Never Again« feierlich in Anwesenheit des US-Präsidenten Carter eröffnet – in Abwesenheit von Kanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Richard von Weizsäcker.
Regierung Kohl total desavouiert
Einige Wochen zuvor war es noch zu einem Skandal gekommen. Die Washington Post veröffentlichte eine Sensationsmeldung: »The German gouvernment (…) offererd museum organizers ›millions of dollars‹ to include an exhibit on postwar Germany. This offer was immediately rejected« (S. 195). Die Regierung Kohl war mit diesem Versuch, sich durch Geld in dem Konzept Geltung zu verschaffen, total desavouiert. Das Museum in Washington wurde zum weltweiten symbolischen Fixpunkt des Holocaust-Opfer-Gedenkens.
Das Buch von J. S. Eder ist ausgesprochen lesenswert strukturiert. Er hat wie auf einem Zeitstrahl die deutsch-US-amerikanischen erinnerungspolitischen Auseinandersetzungen detailliert dokumentiert: kapitelweise – beginnend mit der Museumsankündigung durch die USA Ende der 70er-Jahre und endend mit Fragen zum Zusammenhang zwischen dem US-amerikanischen Holocaustgedenken und der deutschen NS-Erinnerungskultur nach der Wiedervereinigung – zeigt er verschiedene Lesarten und Blickrichtungen der Posse der Bonner Republik auf.
Antisemitische Stereotype
Verstörend wirken dabei die überaus zahlreichen quellengestützten Notizen zum Verhältnis der Bonner in jener Zeit gegenüber US-amerikanischen jüdischen Organisationen und jüdischen Einzelpersonen. Wir erfahren, wie deutschen Politikakteure ihre Enttäuschung über das Scheitern ihrer Mission mit klassischen antisemitischen Stereotypen begründen: Zigfach werden quasi konspirative »Jüdische Kreise« (S. 65), »Jüdische Lobby« (S. 318), »jüdische Journalisten« (S. 264) beschuldigt, die Bundesrepublik mit dem Museumskonzept beschädigen zu wollen. Das lässt nur den Schluss zu: katastrophal fehlende Empathie für die Opfer des NS bei vielen früheren NS-Diplomaten, die in den Dienst des Auswärtigen Amtes übernommen wurden.
Jacob S. Eder rekonstruiert in seinem Buch »Holocaust-Angst« den Verlauf der deutsch–US-amerikanischen Beziehungen im Hinblick auf das Holocausterinnern – insbesondere in den 80er- und 90er-Jahren. Der Verfasser stützt sich dabei auf viele erstmals zugängliche Quellen u. a. aus dem Bundeskanzleramt.
Das Buch ist eine überarbeitete Fassung der in den USA angenommenen Dissertation. Jacob S. Eder ist aktuell Hochschullehrer für Geschichte an der Barenboim-Said Akademie in Berlin.
Holocaust – Die Serie: Die Serie wurde von etwa 120 Millionen US-Amerikaner:innen gesehen. In der BRD war die Ausstrahlung 1979 ebenso ein großes Medienereignis: 20 Millionen Deutsche sahen sie. Das Wort »Holocaust« wurde dadurch »auch in Deutschland zum Begriff für die Vernichtung der europäischen Juden«.