Ausdruck vom Rechtsruck
8. November 2022
Gemeinnützigkeit: Sabotageakt gegen Kulturzentrum. Gespräch mit Yvonne Kratz
antifa: Das DemoZ in Ludwigsburg (Baden–Württemberg) hat jüngst seine Gemeinnützigkeit zurückerhalten. Diese war dem Zentrum vor drei Jahren durch das städtische Finanzamt entzogen worden. Ihnen zunächst einmal herzlichen Glückwunsch. Wie kam es dazu, und wie bewerten Sie die aktuelle Entscheidung?
Yvonne Kratz: Es bestand bereits die Aussicht, dass wir sie zurückbekommen. Seit Juni haben wir mit der Behörde ausgehandelt, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen. Auf der einen Seite freut man sich total, weil der Kampf darum eine riesige Belastung war. Dieser Rechtsstreit hat unglaublich viele Ressourcen und auch Geld gefressen, die wir viel lieber in unsere Arbeit investiert hätten. Durch die fehlende Anerkennung der Gemeinnützigkeit sind erhebliche Summen an Fördergeldern wegge-blieben. Dass es uns überhaupt noch gibt, liegt einerseits an der Unterstützung durch unsere Mitglieder. Es hat auch damit zu tun, dass wir von städtischer Seite Hilfe trotz des zeitweisen Verlusts der Gemeinnützigkeit erhalten haben.
Andererseits muss man leider sagen, dass das zugrundeliegende Problem bestehen bleibt. Nämlich die Antwort auf die Frage, was politische Bildung und geistige Offenheit im Sinne des Gemeinnützigkeitsrechts eigentlich bedeutet. In den nächsten zwei Jahren könnte also theoretisch die nächste Person vom Finanzamt kommen und wieder einen Rechtsstreit mit uns beginnen. Nicht nur für uns, sondern auch andere Projekte besteht also eine riesige Unsicherheit, und gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) war es schon unser Anspruch, hier für mehr Klarheit zu sorgen. Durch Krieg und Pandemie steht das Thema aktuell aber leider nicht besonders weit oben.
antifa: Der Entzug der Gemeinnützigkeit wurde 2019 unter anderem mit angeblich mangelnder Offenheit in der politischen Bildungsarbeit des DemoZ begründet. Das Finanzamt störte sich beispielsweise daran, dass Sie durch die sogenannte Ausschlussklausel öffentlich bekundet haben, keine Nazis und Rassist:innen in Ihren Räumen zu dulden. Was ist aus diesem Streit mit der Behörde geworden?
Y.K.: Das hat sich relativ schnell geklärt, weil die Oberfinanzdirektion in Karlsruhe erklärt hat, dass der Grund für den Verlust der Gemeinnützigkeit nicht sein kann, wenn menschenverach-tende Personen aus gemeinnützigen Räumen ausgeschlossen werden. Es blieb ein anderer Punkt, nämlich der Vorwurf, dass wir unser Programm nicht in geistiger Offenheit gestalten würden und es nicht ausreiche, sich parteipolitisch neutral zu positionieren. Uns wurde vorgehalten, wir hätten eine politische Meinung und wären daher nicht geistig offen. Aber was heißt das im Umkehrschluss? Darf man überhaupt keine Perspektiven haben? Und wie soll man denn Bildungsarbeit gestalten, wenn keine grundlegende Haltung vorhanden ist. Das funktioniert aus unserer Sicht nicht. Gerade die Transparenz der Haltung und der unterschiedlichen Perspektiven ist doch ein Gewinn für demokratische Debatten und schützt vor Indoktrinierung in der Bildungsarbeit.
Eigentümlich finden wir, dass das Finanzamt sich nun auf die Position stellt, die von seiner Seite -vorgebrachten Argumente für den Entzug der Gemeinnützigkeit kann man so und so sehen, deshalb reden wir nicht mehr drüber. Also haben wir jetzt drei Jahre über etwas geredet, das man jetzt scheinbar so oder so sehen kann. Und plötzlich stehen Formalien im Vordergrund, beispielsweise wie regeln wir es vertraglich, wenn wir unsere Räume für Veranstaltungen zur Verfügung stellen, oder wie und zu welchen Konditionen werden die beworben. Das ist nun das Ende von drei Jahren Diskus-sionen …
antifa: Klingt nach Sabotage aus einem Verwaltungstrakt gegen ein emanzipatives Projekt …
Y.K.: Fühlt sich auch so an! Ich denke, es ist dem Problem geschuldet, dass durch die ungeklärten Punkte im Gemeinnützigkeitsrecht Finanzbeamt:innen nach Lust und Laune entscheiden können. Rechtssicherheit ist das jedenfalls nicht, wenn eine Einzelperson individuell Entscheidungen treffen kann, wie sie das politisch gerade möchte und das innerhalb einer Behörde umsetzt.
antifa: Der Umgang mit Ihrem Verein ist kein Einzelfall. Angriffe auf die Gemeinnützigkeit erlebten in den letzten Jahren auch Organisationen wie die VVN-BdA, Attac, Campact oder die Marxistische Abendschule Hamburg. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen diesen Fällen?
Y.K.: Ich glaube nicht, dass sich einzelne Personen abgesprochen haben, um das herbeizuführen. Das Problem ist eher die gesellschaftspolitische Entwicklung und Werteverschiebung. Wir haben eine AfD, die mit über zehn Prozent stark vertreten ist. Das sind ja auch Personen, die in den Behörden sitzen. Insofern ist das ein Ausdruck vom Rechtsruck in der Gesellschaft. Ein weiteres Problem ist das fehlende Bewusstsein für den unglaublichen Wert von ehrenamtlichem politischen Engagement der Zivilgesellschaft. Wenn der Wert bewusst wäre, würde das Problem politisch geklärt werden.
Das Gespräch führte
Andreas Siegmund-Schultze