Vorurteile töten
7. Januar 2023
Wen und warum Polizeischüsse treffen
Die Beendigung einer Geiselnahme in Nürnberg oder die Schüsse aus einer Maschinenpistole in Dortmund. In den letzten Jahren waren die Medien voll von Berichten über Menschen, die von Polizistinnen und Polizisten in Einsätzen getötet wurden. Es kristallisiert sich inzwischen auch heraus, dass überdurchschnittlich viele der Getöteten psychische Probleme hatten. Verschiedene Schätzungen – Statistiken über den Gesundheitszustand von durch die Polizei getöteten Menschen gibt es nicht – stimmen darin überein, dass mindestens die Hälfte dieser Menschen psychische Auffälligkeiten zeigten oder in psychiatrischer bzw. psychologischer Behandlung waren. Überdies hatten die getöteten Männer und Frauen besonders häufig eine »familiäre Migrationsgeschichte«.
Die Ursachen der Häufung dieser tödlichen Polizeieinsätze sind nicht klar. Oft – nicht immer – waren die Getöteten bewaffnet. Meist mit Messern. Einige benutzten Küchenmesser, andere eher als Waffe geeignete Klingen. Durch diesen Waffenbesitz geraten die Polizistinnen und Polizisten in eine Bedrohungssituation, aus der sich einige angeblich meinen, nur durch die Schusswaffe befreien zu können. Der Waffenbesitz dient auch als Rechtfertigung, so dass in den allermeisten Fällen Dienstherr, Staatsanwaltschaften und Justiz keinen Grund sehen, die Todesschützen zu bestrafen. Dazu kommt, dass in aller Regel Kolleginnen und Kollegen Todesschützen durch entsprechende Aussagen decken.
Zur Einschätzung von Polizeibeamtinnen und -beamten, ob für sie eine Situation so bedrohlich ist, dass sie von der Schusswaffe Gebrauch machen müssen, gehört mit Sicherheit auch, welche Wahrnehmung sie von ihrem Gegenüber haben. Diese wird stark beeinflusst von den Einstellungen und Erfahrungen der Schützen. Dazu gehören Vorurteile, die sich gegen ungehorsame, störende, verwahrlost erscheinende Menschen richten, aber natürlich auch rassistische Vorurteile gegen Menschen, die anders aussehen oder einen anderen kulturellen Hintergrund haben. Studien zu solchen Einstellungen unter Polizistinnen und Polizisten gibt es nicht, und gegen Forderungen nach solchen Untersuchungen werden sich Polizei und Politik wohl weiterhin sperren.
Richtig scheint aber zu sein, dass Polizistinnen und Polizisten auf Einsätze gegen bewaffnete Menschen, die akut oder ständig mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, nicht adäquat vorbereitet werden. Die Einsatzkräfte sollen mit lauten, klaren Anweisungen versuchen, bewaffnete Personen zum Niederlegen der Waffen zu bewegen, um sie dann festnehmen zu können. Die Zuhilfenahme von psychologisch ausgebildetem Personal scheint dabei selbst dann nicht vorgesehen zu sein, wenn die psychische Erkrankung durch Verhalten oder Vorabinformation bekannt ist. Sehr häufig nehmen Menschen in psychischen Ausnahmesituationen einen Polizeieinsatz selbst als Bedrohung wahr. Daher bewaffnen sie sich. Das herrische und lautstarke Benehmen der autoritär auftretenden Einsatzkräfte verstärkt dieses Bedrohungsgefühl eher. Die Absicht der Polizei, die Situation dadurch in den Griff zu kriegen und zu entspannen, wird missverstanden oder nicht verstanden. Die Betroffenen richten ihre aus Frust entstandene Aggression dann gegen die Polizei oder noch deutlich häufiger gegen sich selbst. Erstaunlich oft scheinen Polizistinnen und Polizisten selbst bei Suiziddrohungen durch auf den eigenen Körper gerichtete Messer mit Schüssen zu reagieren und nehmen dabei den Tod desjenigen billigend in Kauf. Wenn es also wieder heißt, dass die Polizei jemanden erschossen hat, müssen wir genauer hinschauen, die genauen Hintergründe erfragen und Konsequenzen fordern. Dass die Polizei zu einem Einsatz gegen einen 17-Jährigen, wie in Dortmund, eine Maschinenpistole mitnimmt, zeigt, dass es auch ein Problem mit der Militarisierung gibt.
Quellen für diesen Beitrag:
Dissertation von Katharina Lorey (2021) »Polizeilicher Umgang mit psychisch erkrankten Menschen: Betrachtung der Erfahrungswerte aus Sicht der Polizei« (PDF-Download unter kurzelinks.de/diss-polizei) sowieder Beitrag von Thomas Feltes und Michael Alex »Polizeieinsätze in Verbindung mit psychisch kranken Menschen« (PDF-Download unter kurzelinks.de/feltes-polizeieinsaetze)