Faschismus und Struktur
9. März 2023
Sammelband zum 70. Geburtstag von Volkmar Wölk
17 Beiträge versammelt der neue Band »Rechte Ränder. Faschismus, Gesellschaft und Staat« und deckt dabei bekannte und eher randständige Ausprägungen der extremen Rechten ab. Eine Einleitung stellt den Jubilar vor und führt kurz in die Beiträge ein. Diese sind mal stärker analytisch, mal mehr deskriptiv, mal akademisch, mal journalistisch. Die Herausgeber und Autor_innen kennen Volkmar Wölk aus unterschiedlichen Kontexten und bekennen, er habe ihnen »mit Kritik und Material immer wieder Appetit auf Themen gemacht«. Und so sind auch die Beiträge in der Nähe von Wölks Interessenschwerpunkten.
Wölk ist bekannt für seine profunden Kenntnisse der neuen Rechten. Er ist einer der wenigen ausgewiesenen Expert_innen der extremen Rechten ohne akademische Laufbahn, ein »engagierter Antifaschist jenseits institutioneller Bahnen, doch nicht minder versiert und stets produktiv an der Schnittstelle von akribischer Recherche, fachkundiger Analyse und streitbarer Publizistik«. Wölk war im Bundessprecher_innenrat der VVN-BdA und deren Landesgeschäftsführer in Hessen. 1989 gründete er die antifaschistische Zeitschrift Der Rechte Rand mit. Als »Antifa-Spürhund« (Junge Freiheit) war Wölk (er nutzte auch zahlreiche Pseudonyme) berüchtigt. Einige Faschisten waren in den 1980ern der Meinung, er sei maßgeblich dafür »verantwortlich, dass interne Tagungen auffliegen und abgesagt werden müssen«.
Der erste Teil des Buches widmet sich eher analytisch und teils historisch der extremen Rechten. Im zweiten Teil werden aktuelle Debatten (ein)geführt, und im dritten Teil machen Caro Keller und Friedrich Burschel in ihren Artikeln deutlich, wie unverzichtbar es ist, herrschenden Narrativen zu widersprechen (Stichwort: Einzeltäterthese) und die eigene Geschichte auch zu bewahren.
Ein hier wiederveröffentlichter Beitrag des israelischen Faschismustheoretikers Zeev Sternhell, den Wölk einst übersetzte, dient als Leitartikel (und ist mit 46 Seiten in etwa doppelt so lang wie die anderen Beiträge). Der Faschismus sei, »bevor er zu einer politischen Kraft wurde, eine kulturelle Erscheinung« gewesen, und zwar im Kern als »Ablehnung der ideologischen Moderne«, so Sternhell. Volker Weiß baut seinen Text zu Ernst Jünger auf Sternhells Analyse auf. Andreas Speit zeigt, wie der »Antimodernismus« im rechts-esoterischen Milieu der Corona-Proteste fortlebt. Christoph Kopke befasst sich mit der Faschisierungsthese des Kommunistischen Bundes (KB). Obwohl Kopke die Rede von umfassender Faschisierung als Fehler identifiziert, gesteht er dem KB zu, Standards in der antifaschistischen Praxis gesetzt zu haben, welche die BRD-Linke bis heute prägen. Helmut Kellershohn schreibt über Karlheinz Weißmanns Versuch, die Rechte neu zu kartographieren.
Fabian Virchow behandelt den Produktivismus vor allem als Ideologem des Rechtspopulismus, der ihn oft mit einer Elitenkritik gegen »die da oben« verknüpft. Virchow zeigt das anhand zahlreicher Beispiele aus Europa (AfD, FN, FPÖ, Lega Nord, UKIP, SVP) und den USA (Tea Party). Für Deutschland verfolgt er das produktivistische Paradigma von »Arbeit im preußisch-protestantischen Geist« über den Nationalsozialismus bis hin zu den »Autonomen Nationalisten«. Als vorherrschende Vorstellung in einer kapitalistischen Gesellschaft und somit als Schnittstelle zwischen bürgerlicher Ideologie und rechtem Weltbild wird der Produktivismus nicht begriffen. Er könne aber erklären, »dass manche rechtspopulistischen bzw. extrem rechten Parteien erheblichen Zuspruch von Lohnabhängigen erhalten«.
Trotz aller Unterschiedlichkeit der Beiträge gibt es Dinge, die sich durch das Buch ziehen: das Konzept gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und die dazugehörigen Studien, die sogenannte Konservative Revolution oder Politik und Personal der faschistischen AfD. Letzterer ist übrigens kein eigener Beitrag gewidmet. Anders als es der Untertitel suggeriert, spielt der Staat keine große Rolle, und die Spannungen innerhalb der Staatsapparate werden wenig beachtet. So betont Andrea Röpke in ihrem Beitrag über rechte Einflussnahme an Schulen vor allem die staatsablehnende Haltung der Maskenverweigerer und deren Affinität zu freien Schulen. Nur beiläufig erwähnt sie, dass der ehemalige Präsident des deutschen Lehrerverbandes inzwischen im neurechten Spektrum angesiedelt ist. Sebastian Friedrich wendet sich in seinem Beitrag hingegen ausgiebig staatlicher Praxis zu und plädiert dafür, den »Aufstieg der Rechten als Folge einer Hegemoniekrise« zu verstehen. Der lesenswerte Beitrag kann letztlich aber nicht in allen Einzelheiten überzeugen, etwa wenn konstatiert wird, dass sich eine »gesamtgesellschaftliche Verschiebung nach rechts (…) auf der Diskursebene (…) nicht feststellen« lasse.
Der Band richtet sich an Antifaschist_innen, die an Geschichte, Struktur und Ideologie rechter Milieus interessiert und bereit sind, mehr als Zeitschriftenartikel zu lesen. Dabei gibt es detaillierte Einsichten zu gewinnen, die oft auch für Expert_innen auf dem Gebiet neu sein dürften.