Zuviel und Zuwenig
9. März 2023
Vor 70 Jahren wurde die VVN in der DDR verboten
Im Februar 1947 gründete sich in der Sowjetischen Besatzungszone die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Dem Gründungskongress vorangegangen waren Gründungen von VVN-Gruppen überall in Deutschland. Die Teilnehmer_innen, deren Zahl die 200 überstieg, teilten die Einsicht, dass es einer speziellen Organisierung derjenigen bedurfte, die Widerstand gegen den Naziterror geleistet hatten, die von faschistischen Schergen verfolgt und ausgegrenzt worden waren. Gleichzeitig bestand der Wunsch nach einem Interessenverband, der die verschiedenen Strömungen, seien sie politischer oder religiöser Natur, abbildete und von allen Besatzungsmächten gebilligt würde. Zentrales Gründungselement war daher auch die Kampfbereitschaft für Einheitlichkeit, sowohl der VVN als auch des deutschen Staates, dessen Teilung sich am fernen Horizont schon abzuzeichnen begann. Dieser Wunsch nach Einheitlichkeit wurde von den realpolitischen Ereignissen schnell zerrieben.
Bereits Ende der 40er Jahre gab die VVN in der Sowjetischen Besatzungszone den Wunsch nach Überparteilichkeit auf, indem sie die Ziele der SED zu ihren eigenen erklärte. Die politischen Ereignisse um die Staatsgründung der DDR wirkten so ebenfalls auf die Entwicklung der VVN. Dazu gehörte auch die Einteilung der durch den Faschismus Verfolgten in solche, die ihm zum Opfer gefallen waren und solche, die Widerstand gegen ihn geleistet hatten. Gleichzeitig wurde enger definiert, wer zum Widerstand gehört hatte, indem nur der explizit kommunistische Widerstand als wirklicher Widerstand akzeptiert wurde. Verfolgte, die auf Basis ihres Glaubens Widerstand geleistet hatten, fielen so aus dem öffentlichen Gedächtnis heraus. Eine Hierarchisierung der Verfolgten, die die aktiven Kämpfer gegen den Nationalsozialismus hervorhob und jene, die aus religiösen oder rassischen Gründen, oder ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität wegen verfolgt wurden, als zweitrangig erklärte, ist nicht von der Hand zu weisen.
Auf den Tag genau sechs Jahre später, im Februar 1953, löste die SED die VVN auf. Der Beschluss zur Abwicklung erfolgte unvermittelt und war nicht etwa der Höhepunkt oder das Ergebnis einer zuvor geführten Debatte. Vielmehr wurde beschlossen, die Aufgaben der VVN seien erfüllt und ihre Existenz deshalb obsolet geworden. Innerhalb der VVN regte sich wenig Widerstand gegen die eigene Auflösung, man ging davon aus, der Beschluss der Parteiführung hätte seine Richtigkeit. Es erfolgte die Gründung der Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer, die eng mit der SED zusammenarbeiteten und ebenfalls eng mit der VVN der BRD in Kontakt standen. Die Gründe der Auflösung der VVN sind Material zur Spekulation. Am wahrscheinlichsten scheint, dass die SED in der VVN Anflüge politischer Nonkonformität ausmachte. Die Gründung der Komitees mit ihrem Anspruch des hegemonialen Antifaschismus unterstreicht diese These. Gleichzeitig beschuldigte die SED jüdische Mitglieder der VVN der Zusammenarbeit mit sogenannten zionistischen Agenten, woraufhin viele Zuflucht in der BRD suchten.
Linke antifaschistische Politik heute sollte sich dieser historischen Dimension der machtpolitischen Vereinnahmung durch die SED bewusst sein, um den Versuchen, den Begriff vollkommen zu entpolitisieren, etwas entgegensetzen zu können.
Im Zuge der Wiedervereinigung und der dazu nötigen Delegitimierung der DDR wurde von bundesrepublikanischer Seite am staatstragenden Pfeiler des Antifaschismus gehörig zu wackeln versucht. Es wurde erklärt, der Antifaschismus sei den Bürger_innen des ostdeutschen Staates nur per Gesetz verordnet worden, ohne dass sie diesen überhaupt verinnerlicht hätten. Einerseits bemängelte man, die DDR hätte zu viel Antifaschismus gehabt, den falschen, kommunistisch-totalitären nämlich, und gleichzeitig nicht genug, hatte sie doch nicht alle Bürger_innen mit NSDAP-Parteibuch ins Gefängnis gebracht. Außerdem konnte man so einen richtigen, bürgerlichen Antifaschismus gegen einen falschen, totalitären Antifaschismus propagieren. Diese ideo-logisierende Legende kommt heute noch zum Tragen, wenn Mitglieder der CDU verkünden, Demokraten (wie sie) müssten Antifaschisten sein, weil sie sonst keine Demokraten wären, während sie gleichzeitig den Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft schüren. Antifaschistische Organisierung, die sich ihres historischen Erbes bewusst ist, kann sich nur im Kampf gegen Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Militarisierung beweisen.