In der Fläche verankert
9. März 2023
Neonazistrukturen in Mecklenburg-Vorpommern
antifa: Wie haben sich die Neonazistrukturen seit dem Auszug der NPD aus dem Landtag in Mecklenburg-Vorpommern verändert?
Mitch Dailey: Völkische Siedler*innen und andere Rechtsextreme agieren in MV zunehmend aus dem Hintergrund, finden im ländlichen Raum günstigen Wohnraum, können Strukturen und ideo-logische Netzwerke aufbauen und werben gezielt neue Mitglieder an. Die Strategie der rechten Szenen ist es, bürgerlich zu wirken und die ländlichen Strukturen zu unterwandern, beispielsweise durch die Organisation von Dorffesten, Sommer- und Jugendcamps, in der freiwilligen Feuerwehr oder sogar im Rahmen pädagogischer Arbeit. Angeworben wird in den letzten Jahren nicht mehr nur in den lokalen Strukturen vor Ort. Auch im Internet werden neue Personen in den ländlichen Raum gelockt. Insbesondere die Enthüllung rund um das Nordkreuz-Netzwerk hat gezeigt, dass die rechten Akteur*innen sehr aktiv sind, insbesondere im militanten Prepper/Doomer-Milieu Waffen und Munition horten und eine Lauerstellung eingenommen haben.
antifa: Woran macht sich der Schulterschluss zwischen Neonazis und AfD im Nordosten fest?
Mitch: Obwohl die NPD generell keine große Rolle mehr zu spielen scheint, sind noch viele Akteur*innen in MV aktiv. Gemeinsam mit ehemaligen Flügel-Mitgliedern der AfD koordinieren sie Aktionen und Vernetzungsvorhaben, so beispielsweise das rechtsextreme Handwerker-Netzwerk um Alexander Wendt. Einige (ehemalige) NPD-Akteur*innen verfügen außerdem über Immobilien im ländlichen Raum und stellen damit die Infrastruktur für rechtes Netzwerken zur Verfügung. Der Unternehmer Philipp Steinbeck beispielsweise spendete bereits 2011 für die NPD und besitzt verschiedene Immobilien in MV (z. B. Schloss Jessenitz), die er nun auch für Spendenkampagnen der AfD bereitstellt. Auch der ehemalige NPD-Funktionär Rüdiger Hoffmann arbeitet aus MV und treibt die Reichsbürger-Vernetzung in den nördlichen Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern voran. Auch auf den Corona-Demos zeigt sich die enge Verbundenheit von AfD und NPDler*innen. Sie werden besucht von Mitgliedern rechtsextremer Burschenschaften, Personen aus dem Rechtsrock-Milieu, ehemaligen (Flügel-)Funktionären der AfD und der NPD. Auch die Identitäre Bewegung sowie Angehörige der Hammerskin-Bewegung sind bei den Demos sogar mit selbstgebauten Schusswaffen aufgetaucht. Mit der Kampagne »Gegengift2022« warb die NPD im letzten Jahr innerhalb der Querdenken-Szene für den »Widerstand gegen das System« und trat mit gewaltbereiten und bewaffneten Kadern auf verschwörungsideologischen Demonstrationen auf.
antifa: Welche Qualität hat die rechte Massenmobilisierung durch die Corona-Pandemie und den Ukrainekrieg angenommen, und wie kann die demokratische Zivilgesellschaft darauf reagieren?
Mitch: 2022 wurden einige Montagsdemonstrationen von rechtsextremen Akteur*innen angemeldet, koordiniert und besucht. Hier haben sich verschwörungsideologische Personen, völkische Siedler*innen, Kameradschaften, (ehemalige) Funktionäre von AfD und NPD sowie andere Angehörige rechter Szenen zusammengeschlossen. Die Aufmärsche wurden mit bis zu 4.000 Personen gut besucht. Das Bild von Bürger*innen der vermeintlichen Mitte mit Kindern und Peace-Flaggen, die neben einschlägigen rechtsextremen Flaggen, Klamottenmarken und menschenfeindlichen Bannern demonstrieren, war im letzten Jahr keine Seltenheit.
In Bezug auf den Ukrainekrieg zeigt sich zunehmend eine Spaltung der rechtsextremen und Corona-Leugner*innen-Szene. Nicht nur in den Szeneforen wird diesbezüglich diskutiert und gestritten. So gibt es einerseits den prorussischen Part um Daniel Fiß (Identitäre Bewegung), Martin Klein (die Basis) und Andreas Kalbitz (ehemaliger Landesvorsitzender der AfD in Brandenburg), die viele Corona-Leugner*innen mobilisieren konnten, für das Ende der Sanktionen gegen Russland und für die Öffnung der Pipeline Nord Stream 2 zu protestieren. Zu den proukrainischen Akteur*innen gehört hingegen die »Neue Stärke«-Partei, die im Februar 2022 Kämpfer*innen rekrutierten, um das ukrainische Regiment Asow zu verstärken. Aus der breiten Zivilgesellschaft in MV zeigt sich eine große Solidaritätsbereitschaft mit geflüchteten Personen aus der Ukraine. Es kommt jedoch immer wieder zur Bedrohung von engagierten Personen durch rechte Akteur*innen. Auch gewalttätige Übergriffe auf ukrainische geflüchtete Personen wurden verzeichnet, wie beispielsweise ein Brandanschlag auf eine Asylunterkunft in Groß Strömkendorf im Oktober 2022. Insgesamt gibt es eine Diskursverschiebung in das rechte Spektrum hinein. Was vor einigen Jahren noch als menschenfeindlich und dementsprechend im demokratischen Rechtsstaat eindeutig als verboten deklariert wurde, gehört heute zum Sagbaren. Wichtig ist, dass sich zivilgesellschaftliche demokratische Akteur*innen zusammenschließen und vereint gegenüber Menschenfeindlichkeit eintreten. Hierbei gibt es verschiedene Beratungs- und Begleitangebote, die lokal unterstützen können.
Interview mit Mitch Dailey, Mitarbeiterin der RAA – Demokratie und Bildung Mecklenburg-Vorpommern e. V., Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg
Die RAA Mecklenburg-Vorpommern ist ein eigenständiger freier Träger und Teil eines bundesweiten Netzwerkes regionaler Arbeitsstellen. Die RAA arbeitet sowohl politisch als auch konfessionell unabhängig. Wir unterstützen die Entwicklung einer demokratischen Kultur des Zusammenlebens in Schule, Jugendarbeit und Gemeinwesen. Hierfür engagieren sich seit der Gründung des Vereins im Jahr 1999 Mitarbeiter*innen mit einem unterschiedlichen persönlichen und beruflichen Erfahrungshintergrund in gemeinsamer Arbeit.
Das Interview führte Axel Holz