Niemanden auslassen
9. März 2023
Erinnerung an queere Opfer im Bundestag
1997 fand zum ersten Mal eine Gedenkstunde im Bundestag zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust statt. Im Mittelpunkt stand dabei das Leid jüdischer Menschen. Im Laufe der Jahre wurde die Erinnerung im Bundestag um andere Opfergruppen erweitert. 2011 sprach Zoni Weisz als Vertreter der Sinti und Roma, 2017 Sigrid Falkenstein und Hartmut Traub als Angehörige von Menschen mit Behinderung, die im Rahmen der Aktion T4 ermordet wurden.
In diesem Jahr wurde zum ersten Mal an die schwulen und lesbischen Männer und Frauen sowie an die verfolgten trans Menschen erinnert. Unter trans Menschen versteht man Menschen, die in ihrem biologischen Geschlecht nicht leben können, weil sie sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Die Holocaustüberlebende Rozetta Kats hat in einer bewegenden Rede daran appelliert, keine Opfer auszulassen und an alle von den Nazis verfolgten Menschen zu erinnern. Sie gehört zusammen mit dem Schriftsteller Lutz van Dijk zu denen, die sich über Jahre für eine Gedenkfeier im Bundestag eingesetzt haben. Jannik Schümann hat an Karl Gorath erinnert und Maren Kroymann die Biografie von Mary Pünjer vorgestellt. Musikalisch wurde die Gedenkfeier von der Chansonsängerin Georgette Dee umrahmt.
Der Weg bis zu der Gedenkfeier war lang. Homosexuelle Männer wurden auf Grundlage des Paragrafen 175 verfolgt. Der Paragraf wurde 1935 verschärft. Dadurch konnten homosexuelle Männer bereits nach einem Kuss oder einer zärtlichen Umarmung verhaftet werden. Wenn die Gestapo mehr als zwei Sexualpartner nachweisen konnte, wurden die Männer nach der Verbüßung der Haftstrafe automatisch in ein KZ überwiesen. Der verschärfte Paragraf galt bis 1969 weiter. Zehntausende Männer wurden wegen ihrer Sexualität nach 1945 verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Der Kampf der homosexuellen Männer gegen die Kriminalisierung ihrer Sexualität war immer verbunden mit der Forderung nach Anerkennung als Verfolgte im NS. 1984 wurde das erste Denkmal zur Erinnerung an schwule Männer im KZ Mauthausen errichtet.
Die Auseinandersetzung um die Erinnerung an lesbische Frauen im KZ war noch schwieriger als bei den homosexuellen Männern. Ihre Verfolgung war zumindest in Deutschland nicht so offensichtlich. Der Paragraf 175 fand auf sie keine Anwendung. Anders in Österreich und der Tschechoslowakei. In den Ländern gab es Paragrafen, die lesbische Sexualität unter Strafe stellten. Viele Betroffene wurden wegen unsittlichen Verhaltens verurteilt und kamen nach der Haftstrafe mit einem schwarzen Winkel ins KZ. Bereits in den achtziger Jahren haben Frauen und Lesbengruppen aus der DDR im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück Blumen und Kränze zum Gedenken an die inhaftierten lesbischen Frauen niedergelegt. Nach einem langen Streit konnte erst letztes Jahr eine Gedenkkugel zur Erinnerung an die lesbischen Frauen niedergelegt werden.
Die Aufarbeitung der Lebenssituation von trans Menschen im NS gestaltet sich als noch schwieriger. Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre lebten in Berlin viele Menschen, die sich geschlechtlich nicht eindeutig zuordnen wollten. Ein wichtiger Grund war, dass in der Stadt das von Magnus Hirschfeld geleitete Institut für Sexualwissenschaften beheimatet war. Für die Nazis war das Institut ein Hassobjekt. Zum einen war Hirschfeld Jude, zum anderen galt vielen die Beschäftigung des Instituts mit Sexualaufklärung, dem Einsatz gegen den Paragrafen 175 und mit sexuellen und geschlechtlichen Zwischenstufen als nicht seriös. Die umfassende Bibliothek der Stiftung ist bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auch in Flammen aufgegangen.
Wenn vermeintliche Männer Frauenkleider getragen haben, galt das als Zeichen für Homosexualität. Von daher wurden Transvestiten, so die Bezeichnung damals, nach Paragraf 175 verurteilt und ebenfalls nach Verbüßung der Haftstrafe in Konzentrationslager gesperrt. Außer einigen wenigen Einzelschicksalen gibt es bis jetzt keine systematische historische Forschung zu dem Thema.
Im Vorfeld der Gedenkfeier wurde in der Öffentlichkeit über zwei Punkte gestritten. Zum einen darüber, ob trans Menschen im NS verfolgt wurden, und zum anderen, ob es angemessen ist, an »queere« Menschen zu erinnern. Der Begriff »queer« war ursprünglich ein Schimpfwort für homosexuelle Männer. Mittlerweile wird er von einem großen Teil der Community als Eigenbezeichnung benutzt. Die Frage ist, darf eine heute gängige Eigenbezeichnung auf die Menschen von damals angewendet werden, oder rückt das die Erinnerung in ein falsches Licht.
Die Diskussion ist auch über den Bereich der Community hinaus von Bedeutung. Mit den Begriffen verbunden ist die Frage der Deutungshoheit über NS-Verbrechen und wie sich eine jüngere Generation damit auseinandersetzt.
Losgelöst von der Auseinandersetzung um Begriffe hat die Gedenkstunde gezeigt, dass es wichtig ist, an die verschiedenen Opfergruppen zu erinnern, ohne sie gegeneinander auszuspielen. Die Häftlinge mit dem schwarzen Winkel warten ebenfalls bis heute auf die Anerkennung in einer Gedenkstunde im Bundestag.
Janka Kluge, langjährige Landessprecherin der VVN-BdA Baden-Württemberg, hat sich auch schon sehr früh für die Gedenkstunde im Bundestag eingesetzt. Die Erinnerung an die verfolgten LSBTIQ Menschen ist ihr ein persönliches Anliegen.