Aufbegehren heute
11. Januar 2024
Debatte im »Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945« in Frankfurt/Main
Viele Jahre war der »Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945« nur Insidern antifaschistischer Geschichtsarbeit ein Begriff. In diesem Jahr ist es um das schon in den 1960er-Jahren gegründete Dokumentationsarchiv in den Medien lauter geworden. Nicht nur Antifablogs, selbst Konkret und die HR-»Hessenschau« sahen sich bemüßigt, über einen Konflikt zu berichten, der seit längerer Zeit die Debatte im Studienkreis beeinflusst, nämlich eine Ausstellung über widerständiges Verhalten innerhalb der Frankfurter Polizei (siehe Artikel in der antifa-Ausgabe November/Dezember 2023).
Hier soll nicht noch einmal der Streit ausgebreitet werden. Erkennbar ist, dass bei diesem Konflikt nicht nur Fragen zum Umgang mit der »Polizei als Tätereinrichtung« im Fokus stehen, sondern auch grundsätzliche Fragen antifaschistischer Politik heute die Kontroversen überlagern. Wer die Akteure dieser Kontroverse seit Jahrzehnten kennt, sieht, wie der Disput auch eine Diskursfolie für unterschiedliche Konzepte antifaschistischer Geschichtsarbeit darstellt. Dass der Streit zum Rückzug langjähriger Mitglieder des Studienkreises beitrug, unterstreicht dessen grundsätzliche Bedeutung, die über den eigentlichen Anlass hinausreicht.
Um dieses Dilemma konstruktiv anzugehen, lud der »Studienkreis Deutscher Widerstand« Ende November zu einer Mitgliederversammlung zur Selbstverständigung über das Widerstandsverständnis und Perspektiven der Organisation ein. Das Impulsreferat hielt Ulrich Schneider, der in sieben Thesen die historische Genese des Studienkreises aus der Initiative der Frauen und Männer aus dem Widerstand beleuchtete, daraus abgeleitet die Notwendigkeit der Verständigung über den Widerstandsbegriff benannte, der nicht in Beliebigkeit verschwinden darf, sondern die Bedeutung des organisierten Handelns aus politischen oder gesellschaftlichen Prägungen heraus unterstreicht. Wichtig sei es, Bezüge für nachgeborene Generationen zu entwickeln, wobei der biografische Zugang, das heißt die Würdigung der Frauen und Männer aus dem Widerstand, und der regionale Bezug (was passierte im eigenen lokalen Umfeld?) zentrale Möglichkeiten zur Ansprache junger Menschen bilden. Er plädierte dafür, dass der Studienkreis – im Verhältnis zu den verschiedenen Gedenk- und Erinnerungseinrichtungen und historischen Forschungsstellen – sein »Alleinstellungsmerkmal«, als die Einrichtung, die das politische und historische Vermächtnis der Überlebenden bewahrt, schärft.
Als Perspektive sah er folgende Themen:
Der Studienkreis solle sich zukünftig noch stärker auf das Thema antifaschistischer Widerstand im Deutschen Reich fokussieren. Dabei gehe es auch darum, die tatsächliche Dimension der gesellschaftlichen und politischen Gruppen im Widerstand sichtbar zu machen, welche Bedeutung der organisierte Widerstand im Unterschied zu heroischen Einzelaktionen hatte, die ebenfalls einen hohen Blutzoll kosteten.
In der historischen Perspektive sollten Aufarbeitung und Vermittlung nicht auf den Zeitraum 1933 bis 1945 beschränkt bleiben, sondern – auch mit Blick auf heutige Konsequenzen politischen Handelns – deutlich werden, dass antifaschistischer Widerstand schon in der Weimarer Zeit begann. Zudem sollte der Blick geweitet werden über den 8. Mai 1945 hinaus, wenn es darum geht, die Visionen des Widerstands für eine bessere Gesellschaft, ein »anderes Deutschland«, wie sie es damals nannten, sichtbar zu machen, sodass heutige Generationen den Widerspruch zwischen den Vorstellungen der Frauen und Männer aus Widerstand und Verfolgung und heutiger Realität als Spannungsverhältnis für politisches Handeln verstehen können.
Ausgehend von diesem Impuls entwickelte sich eine rege Debatte, die von zwei Moderatorinnen in Form eines Workshops organisiert wurde, um möglichst alle Anwesenden in die Debatte aktiv einzubeziehen. Die Teilnehmenden stellten ihre Überlegungen zu der Frage »Erinnerung an den Widerstand – Was bedeutet das heute?« vor. Die Herausforderung war es, die sehr vielfältigen Stichworte, die in gewisser Weise auch die unterschiedlichen Diskussionsprozesse abbildeten, zusammenzufassen.
So wurde betont, dass »Widerstand« eine dynamische Kategorie sei und eine Erweiterung des Widerstandsbegriffes zu diskutieren sei. Nicht im Sinne von Beliebigkeit, sondern um Verengungen oder Ausgrenzung von widerständigem Verhalten zu vermeiden. Vielleicht, weil die meisten Teilnehmenden jenseits des Renteneintrittsalters waren, wurde mehrfach die Frage gestellt, wie es gelingen könne, heutige Generationen, die die Zeitzeugen nicht mehr kennengelernt haben, mit diesem Thema anzusprechen. Es dürfe dabei nicht nur um Wissensvermittlung gehen, sondern auch darum, wie diese geschichtspolitische Arbeit zu einer Aktivierung gegen Rechtsentwicklung, für Zivilcourage beitragen kann. Hier ist ein weites Handlungsfeld für den Studienkreis. Knapp wurden am Ende Vorschläge für die zukünftige Arbeit gesammelt. Dieser Punkt unterstrich, dass die Debatte über die Perspektiven des Studienkreises mit diesem Tag nicht abgeschlossen ist. Aber es zeigte auch, wie sich die Mitglieder einen Ausweg aus dem öffentlichen Disput vorstellen können.