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11. Januar 2024

Für breite Bündnisse gegen die AfD Chemnitz/Sachsen

antifa: Vor fünf Jahren kam es in Chemnitz zu schweren rassistischen Ausschreitungen. Chemnitz gilt als Blaupause für den Schulterschluss aus gut organisierten rechten Fußballhooligans, einer sogenannten Bürgerbewegung Pro Chemnitz/Freie Sachsen und der AfD. Ihr habt damals im Bündnis mit vielen anderen als #wirsindmehr dagegengehalten und seid aktuell eine der aktivsten Gruppen von »Aufstehen gegen Rassismus« (AgR) in Ostdeutschland. Wie ist die Lage in eurer Stadt?

Gabi Engelhardt: Obwohl sich die rassistischen Ausschreitungen seitdem nicht in dem Maße wiederholt haben, gibt es nach wie vor rechtsmotivierte und rassistische Angriffe. Jede Woche marschieren die Rechten seit 2018 ununterbrochen in Chemnitz auf. Während der Corona-Pandemie haben sie ungeheures Selbstbewusstsein gewonnen und das Gefühl, dass ihnen die Stadt gehört. Dem gegenüber erleben wir eine gewisse Hilflosigkeit und Gewöhnung an die rechten Demos und die Höcke-AfD.

Nach wie vor ist Chemnitz ein Rückzugsort für Nazis. Erst kürzlich wurde hier ein neues Schulungszentrum der Identitären Bewegung eingeweiht. Leider wird die rechte Raumnahme im gesellschaftlichen Diskurs und im öffentlichen Raum auch von der »Kulturhauptstadt 2025« nur halbherzig angegangen. Den Titel hatte Chemnitz unter anderem wegen der ausgeschriebenen Aufarbeitung der Ereignisse von 2018 erhalten. Aber zum 5. »Jahrestag« der Ausschreitungen gab es kein öffentliches Statement vom Oberbürgermeister oder von den Akteur:innen der Kulturhauptstadt. Im Gegenteil wirkt die Kulturhauptstadt verunsichert und scheint die öffentliche Auseinandersetzung mit den Neonazis zu meiden. Der rechte Stadtrat Robert Andres (Freie Sachsen) hat für 2025 eine Wiederholung von 2018 angedroht. Das sollten wir alle ernst nehmen und uns nicht einschüchtern lassen.

antifa: AgR wurde 2016 als ein Bündnisprojekt aus Gewerkschaften, Parteien, Verbänden und Organisationen wie der VVN gestartet. Wie zeigt sich das in eurer Arbeit heute?

G. E.: Wir haben in Chemnitz seit 2016 in unterschiedlicher Intensität mit DGB, Linken, Grünen, SPD/Jusos, mit muslimischen Gemeinden, der jüdischen Gemeinde, mit den Parents for Future und verschiedenen zivilgesellschaftlichen und migrantischen Organisationen und natürlich mit den Freund:innen von Chemnitz Nazifrei zusammengearbeitet. Nun haben der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der Krieg in Israel/Palästina und die faktische Abschaffung des Asylrechts durch die Reform des GEAS die rassistische Hetze gegen Geflüchtete und Muslim:innen noch lauter werden lassen. Andererseits haben unterschiedliche Positionen in diesen Fragen auch die Arbeit als Bündnis erschwert. Momentan sind wir eher eine Aktivengruppe. Aber bei zentralen Veranstaltungen wie dem Internationalen Aktionstag gegen Rassismus, antirassistischen Wahlforen, dem Weltflüchtlingstag oder am 9. November, dem Gedenken an die Opfer der Pogrome 1938, arbeiten wir alle zusammen.

So wollen wir dieses Jahr unsere Veranstaltung zum Internationalen Aktionstag gegen Rassismus auf einen Sonntag verlegen, damit sowohl muslimische als auch die jüdische Gemeinde teilnehmen können. Trotz unterschiedlicher Bewertungen der außenpolitischen Krisen ist es wichtig, dass wir hier vor Ort alle gemeinsam gegen die Neonazis der AfD und der Freien Sachsen zusammenstehen. Denn die machen keinen Unterschied zwischen Türkin oder Kurde, Muslim oder Jüdin, Russin oder Ukrainer, wenn sie gegen Geflüchtete hetzen oder Muslime und Juden bedrohen.

antifa: Was sind die Herausforderungen bei den Kommunal- und Landtagswahlen 2024?

G. E.: In den ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist die AfD die stärkste Kraft. Als AgR machen wir selbst keinen Wahlkampf, aber wir bringen uns natürlich in die Wahlkämpfe ein. Die CDU zeigt immer wieder, dass sie keine zuverlässige Bündnispartnerin im Kampf gegen Rechts ist. Auf die CDU zu setzen, wird zwangsläufig zur Demoralisierung führen. Allzuoft stimmen CDU-Abgeordnete gemeinsam mit der AfD in sogenannten »Sachfragen« ab oder versuchen, wie der sächsische Ministerpräsident Kretschmer, der AfD das Wasser abzugraben, indem er deren Vorschläge zum Beispiel zur Asylpolitik übernimmt. Leider ist auch den Gewerkschafter:innen, die AfD wählen, nicht klar, dass diese die Gewerkschaften zerschlagen, die Arbeiter:innenklasse spalten und die demokratischen Institutionen zerschlagen will. Wir setzen uns deshalb auch dafür ein, dass es aus Gewerkschaftskreisen eine klare Positionierung gegen die im Kern faschistische AfD gibt.

Das reicht jedoch nicht aus. Genauso wichtig wie der Kampf um soziale und nachhaltige Lösungen für die multiplen Krisen des Kapitalismus ist die Organisierung von Protestaktionen und Widerstand gegen die AfD auf der Straße. Mit unserer Kampagne »Björn Höcke ist ein Nazi« klären wir über die zunehmende Faschisierung der AfD auf und arbeiten weiter am Aufbau eines breiten Bündnisses. Nur der unerbittliche Widerstand aller Antifaschist:innen auf der Straße kann die Nazis zu stoppen.

Marginalie

Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Geschichte wiederholt, dass die Höcke-AfD an die Macht kommt und zugleich ihre faschistische Bewegung weiter aufbauen kann. Deshalb entstehen gerade überall regionale und überregionale Vernetzungen, wie zum Beispiel der »Solidarische Osten«, der unter anderem auch Unterstützung für die Aktiven im ländlichen Raum aufbaut, oder die »Solidarische Vernetzung Sachsen«, die sachsenweit den Nazis und Rassist:innen auf der Straße entgegentreten wird. Als erste Aktion sind anlässlich des Jahrestags der faschistischen Machtergreifung am 30. Januar in großen sächsischen Städten antifaschistische Demonstrationen geplant. Und natürlich sind wir in Chemnitz auch mit am Start!

Infos unter www.agr-chemnitz.de
Gabi Engelhardt ist Sprecherin von AgR Chemnitz

Das Gespräch führte Nils Becker