Es braucht eine Entnazifizierung
11. Januar 2024
Extreme Rechte in Behörden: Persönliche Daten von Journalisten weitergereicht. Gespräch mit Timo Büchner
antifa: Rechte in den »Sicherheitsbehörden« sind ein Thema, das immer wieder hohe Wellen schlägt. Du musstest hautnah erleben, wie wichtig der sensible Umgang mit persönlichen Daten durch die Behörden ist. Was ist geschehen?
Timo Büchner: Ende 2020 hat der »Nord Württemberg Sturm«, ein damaliger Ableger der Gruppierung »Junge Revolution«, ein rassistisches Transparent mit dem Spruch »Migration tötet« in Osterburken gehisst. Das ist eine Kleinstadt im Neckar-Odenwald-Kreis von Baden-Württemberg. Daraufhin habe ich über diese Aktion beim Störungsmelder von Zeit Online berichtet und dabei auch einen Drahtzieher der Gruppierung, den Neonazi Marc R., benannt. Etwa zwei Wochen nach der Veröffentlichung fanden Razzien bei fünf Personen, unter anderem bei R., statt. Die Beamt:innen haben Materialien beschlagnahmt, darunter Mobiltelefone. Bei der Auswertung der Telefone wurde ein Chatverlauf zwischen R. und dem Zollbeamten Tobias W. aus dem Landkreis Schweinfurt in Bayern gefunden. Sowohl R. als auch W. gehörten zu einer Hooligangruppe namens Green Boyz Schweinfurt. W. wurde von R. um meine Privatadresse gebeten, und die Daten hat W. dann über seinen Behörden-PC abgefragt und an R. weitergereicht. Wichtig ist, dass ich seit Jahren eine Melderegistersperre habe, also eigentlich sind meine Daten besonders geschützt.
antifa: Involviert waren Mitglieder und Sympathisanten der »Jungen Revolution«. Was weißt du über diese Organisation?
T. B.: Gegründet wurde sie 2019 von dem Zwickauer Neo-nazi Sanny Kujath, der zwischenzeitlich in der Neonazipartei »Der Dritte Weg« aktiv war. Die »Junge Revolution« hat sich das Ziel gesetzt, junge Neonazis in Organisationen zu bringen und diese zu vernetzen. In Baden-Württemberg bildete sich mit dem »Nord Württemberg Sturm« relativ schnell ein regionaler Ableger der »Jungen Revolution« heraus. Im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen löste er sich im Jahr 2021 auf. Darin organisiert waren hauptsächlich Männer, die Kampfsport betrieben haben. Auf Social Media sind diese vorwiegend durch Wanderungen in Erscheinung getreten. Damals gab es auch schon personelle Überschneidungen mit den Jungen Nationalisten (JN), der NPD-Jugendorganisation. Inzwischen hat sich der »Stützpunkt Baden-Württemberg« der JN mit ehemaligen Mitgliedern des »Nord Württemberg Sturm« gegründet.
antifa: Wie bewertest du die Arbeit der Behörden, nachdem der Fall dort bekannt wurde?
T. B.: Als der Chat aufgefallen war, leitete die Polizei ein Ermittlungsverfahren gegen R. und W. ein. Im Anschluss wurde ich schnell in einer sogenannten Gefährdetenansprache über den Chat und die Inhalte informiert. Ich war froh, dass ich schnell informiert wurde.
antifa: Gab es Konsequenzen für R. und W.?
T. B.: W. erhielt einen Strafbefehl von 90 Tagessätzen, was insofern interessant ist, weil man ab 91 als vorbestraft gilt und das entsprechend im Führungszeugnis vermerkt wird. Eine ernsthafte Strafe hat W. also nicht erhalten. Das Verfahren gegen R. wurde sogar eingestellt. Dies ist laut Strafprozessordnung möglich, wenn die zu erwartende Strafe angesichts eines anderen laufenden Verfahrens nicht ins Gewicht fallen würde. Es lief damals ein Verfahren gegen R. wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Hierfür hat er 90 Tagessätze erhalten. Somit wurde die Anstiftung zum Datenabruf einfach eingestellt. Als ich das erfahren habe, war das bitter. Es zeigt, dass der Neonazi und der Zollbeamte all das tun konnten, ohne eine spürbare Strafe zu erhalten.
antifa: Wie kam W. überhaupt an die Daten, wenn eine Melderegistersperre vorgelegen hat?
T. B.: Meines Wissens, weil er Zugriff auf die Sozialversicherungsdaten hatte. So konnte er mein Geburtsdatum und meine Privatadresse abfragen.
antifa: Was müsste in deinen Augen geschehen, damit sich Fälle wie dieser nicht wiederholen?
T. B.: Das Problem ist, dass extrem Rechte in den Behörden arbeiten. Sie kennen ihre Möglichkeiten, und, wir müssen leider davon ausgehen, sie nutzen diese auch. Solange wir extrem Rechte in den Behörden haben, werden wir auch derartige Vorfälle erleben. Es braucht aus meiner Sicht eine kritische Meldekultur und auch unabhängige Meldestellen in Behörden, um Neonazis zu erfassen und aus den Behörden zu entfernen. Man könnte sagen, eine Entnazifizierung der Behörden. Auch wenn der Fall mit dem Zoll ein gewisses Novum ist, begegnet uns das Problem Rassismus und Neo-nazis in Behörden immer wieder. Man denke an rassistische Polizeichats oder aktuell an die Probleme mit der polizeilichen Aufklärung im Berliner Neukölln-Komplex. All das sind Probleme, die angegangen werden müssen, sonst lassen sie sich nicht in den Griff bekommen. Es braucht eine Zivilgesellschaft, die Aufklärung vorantreibt und den Finger in die Wunde legt. Es braucht mehr Druck von unten.
Timo Büchner ist Journalist, sein Schwerpunkt sind Aktivitäten der -Neonaziszene in Baden-Württemberg.
Das Gespräch führte
Andreas Siegmund-Schultze.