Gebäude mit Symbolkraft
2. März 2024
Identitätspolitik erweitert um Architektur: Der Band »Bauen am nationalen Haus«
Können Steine schuldig sein? Die kurze Antwort darauf lautet: nein. Der Mensch gestaltet seine Umwelt, er trägt die Verantwortung dafür, wie er die vorgefundenen Ressourcen nutzt. Gebäude sind gleichzeitig allerdings nicht nur die Summe der in ihnen verbauten Ressourcen, sondern können als Symbole kulturelle Bedeutung erlangen.
In seinem schmalen Band »Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik« geht Philipp Oswalt der Frage nach, wie historische Gebäude Symbolkraft erlangen und was ihre Rekonstruktion für unsere Gesellschaft bedeutet. Den Begriff der Identitätspolitik, der zur Zeit in aller Munde ist, erweitert er dabei um eine architektonische Dimension. Denn auch wenn Gebäude in einem anderen als ihrem ursprünglichen historischen Kontext rekonstruiert werden, so verlieren sie nicht ihren symbolischen, identitätsstiftenden Charakter. Die weitreichenden Konsequenzen davon, die auch erinnerungspolitische sind, verhandelt Oswalt an fünf Beispielen: der Potsdamer Garnisonkirche, dem Berliner Stadtschloss, der neuen Altstadt Frankfurt am Main, der Frankfurter Paulskirche und den Dessauer Meisterhäusern.
Gemeinsam ist diesen Beispielen, dass die Debatten um die Rekonstruktion der Gebäude gezeichnet sind von einem architektonischen Paradigmenwechsel, der in 1980er-Jahren vollzogen wurde. Bis 1980 war Deutschland mit dem Wiederaufbau infolge des Zweiten Weltkriegs beschäftigt. In dieser Phase wurden sowohl historische Rekonstruktionen als auch moderne Bauten realisiert. Die wichtigsten Staatsbauten der BRD waren allesamt modern geprägt. Mit ihnen wurde der Versuch der Verankerung in der Gegenwart unternommen, um der Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Geschichte aus dem Weg zu gehen.
In den 1980ern geriet diese Ausrichtung in die Kritik, allerdings nicht, weil man die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der eigenen historischen Schuld nun für nötig befunden hätte. Aus dem zeitlichen Zusammenspiel des Ausscheidens der Nachkriegsgeneration, dem Scheitern der 68er-Bewegung und dem Ende des Sozialliberalismus 1982 ergab sich stattdessen eine Stärkung konservativer Positionen, die sich auf der Suche nach einem gesellschaftlichen, sprich deutschen, Selbstverständnis der Zeit vor 1933 zuwendeten.
Die Annahme, dass man sich positiv auf den deutschen Nationalismus vor 1933 beziehen könnte, als ob dessen »Militarismus, Kolonialismus, Antisemitismus und Untertanengeist« nicht direkt zum Nationalsozialismus geführt hätte, wie Max Czollek in seiner Einleitung zum Buch erklärt, bestimmt seitdem die Debatte um historische Rekonstruktionsvorhaben. Die gesellschaftliche Identität, die sich daraus entwickeln soll, ist selbstverständlich keine, die alle in Deutschland lebenden Menschen inkludiert.
Während manche Teile der Öffentlichkeit die Symbolfunktion der rekonstruierten Gebäude aufgrund von mangelndem historischen Wissen kaum erkennen können, führt dieses Wissen eines anderen Teils der Öffentlichkeit dazu, dass sie die Rekonstruktionsprojekte begeistert unterstützen. Hier lässt sich eine weitere Gemeinsamkeit der Befürworter der oben genannten Rekonstruktionsprojekte ausmachen: ihre reaktionäre Tendenz, die von christdemokratischer Einstellung bis zu offen rechtsaußen reicht. Ausgenommen scheint davon nur das Projekt der Dessauer Meisterhäuser, was ob der Tatsache, dass sowohl ihr Urheber Walter Gropius als auch ein Teil ihrer späteren Bewohner aus der Bauhaus-Bewegung von den Nazis aus politischen und rassistischen Gründen verfolgt wurden, nicht wundert.
Philipp Oswalt gelingt es in unterhaltsamer Manier die Entwicklungen der Debatte um historische Rekonstruktionen seit den 1980er-Jahren darzustellen und sie gesamtgesellschaftlich einzuordnen. Dafür, dass er aufgezeigt hat, wie schnell in dieser Debatte die Grenzen zwischen konservativen und ultrarechten Positionen verschwimmen, wurde er von Befürwortern persönlich attackiert, und es wurde ihm unterstellt, Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen, um die Umsetzung der Bauvorhaben zu verhindern. Die Lektüre lohnt sich also nicht nur für Menschen mit Interesse für Architektur, sondern für alle antifaschistisch eingestellten, die ehrlich bestrebt sind, Erinnerungspolitik auch im Stadtbild verankern zu wollen.