Solidarität in allen Epochen
2. März 2024
Seit 100 Jahren unterstützt die Rote Hilfe linke Aktivist*innen gegen staatliche Repression
In diesem Jahr feiert die Rote Hilfe ihr hundertjähriges Bestehen und bezieht sich damit auf die Gründung der Roten Hilfe Deutschlands (RHD) am 1. Oktober 1924. Die wechselhafte Geschichte der Solidaritätsorganisationen verdient eine genauere Betrachtung. Schon ab 1921 hatten Rote-Hilfe-Komitees im Umfeld der Kommunistischen Partei (KPD) Spenden für linke politische Gefangene und ihre Familien gesammelt. 1924 gründeten sie die Rote Hilfe Deutschlands als selbstständige, partei-übergreifende Mitgliederorganisation.
Die RHD war vor allem in der Arbeiter*innenbewegung beliebt und zählte im Herbst 1932 rund eine Million mehrheitlich parteilose Einzel- und Kollektivmitglieder. Prominente aus Kunst und Wissenschaft wie Albert Einstein, Thomas und Heinrich Mann und Käthe Kollwitz unterstützten ihre Arbeit. Trotz des parteiübergreifenden Anspruchs hatte die KPD weiterhin prägenden Einfluss.
Ein Schwerpunkt blieb die materielle Unterstützung für die politischen Gefangenen und ihre Angehörigen durch Geld- und Sachspenden, die die Rote-Hilfe-Aktivist*innen in den Wohnvierteln sammelten. Zum Aushängeschild der Familienhilfe wurden die RHD-Kindererholungsheime Barkenhoff und Elgersburg, die bis in bürgerliche Kreise große Anerkennung fanden. Für die Gefangenen selbst leistete die RHD auch juristische Hilfe und politische Unterstützung, indem sie für ihre Freilassung eintrat und die schlechten Haftbedingungen bekannt machte.
Zur aktiven Öffentlichkeitsarbeit trugen reichsweite Zeitungen wie der Rote Helfer und Tribunal sowie dutzende Broschüren bei, die in den RHD-eigenen Verlagen erschienen. Hinzu kamen Vorträge, Kundgebungen, Agitpropauftritte in den proletarischen Stadtteilen und Solidaritätskonzerte. Mit großen Kampagnen setzte sich die RHD immer wieder für eine Vollamnestie ein und erreichte zumindest Teilamnestien.
In den frühen 1930er-Jahren dominierte der Kampf gegen die Notverordnungen und Gesetzesverschärfungen die RHD-Tätigkeit. Ein zweites zentrales Thema war die steigende Zahl von Toten durch den NS-Straßenterror, aber auch durch die Polizei, die oft Schusswaffen gegen Demonstrant*innen einsetzte. Die Repression gegen die Arbeiter*innenbewegung bedeutete eine große Herausforderung: Ende 1932 musste die RHD 9.000 politische Gefangene und 30.000 Angehörige unterstützen, und 50.000 Angeklagte benötigten rechtlichen Beistand.
Nach der Machtübergabe an die Nazis wurde die Solidaritätsorganisation schon im März 1933 verboten. Obwohl auch tausende ihrer eigenen Mitglieder verhaftet wurden, führte die RHD die Arbeit illegal fort und unterstützte die Familien der in »Schutzhaft« Verschleppten. Das war für den antifaschistischen Widerstand von zentraler Bedeutung, denn das Wissen, dass im Fall einer Verhaftung ihre Angehörigen Hilfe bekommen würden, gab Nazigegner*innen eine gewisse Sicherheit. In manchen Bezirken war die RHD trotz ständiger Verfolgungen sehr stark und brachte eigene Untergrundzeitungen heraus. Finanzielle Zuschüsse erhielt sie aus der internationalen Arbeiter*innenbewegung. Ab 1936 war die RHD durch die ständigen Verhaftungen in vielen Regionen handlungsunfähig, und 1938 wurde sie offiziell aufgelöst. Trotzdem leisteten lokale Gruppen bis zur Befreiung Hilfe für die Familien der Gefangenen.
Erst die neuen sozialen Bewegungen Ende der 1960er-Jahre griffen die Idee der Roten Hilfe wieder auf. Die entstehenden Solidaritätsstrukturen hatten unterschiedliche politische Ansätze und Schwerpunkte, weshalb sie sich deutlich gegeneinander abgrenzten: Ab 1972 entstand die rote hilfe, ein undogmatisches Netzwerk, das aber bald zerfiel. 1973 gründete die maoistische KPD (Aufbauorganisation) den Rote Hilfe e. V., der sich nach extremem Mitgliederschwund 1979 auflöste.
Die 1975 von der KPD/ML initiierte Rote Hilfe Deutschlands erlebte Ende der 1970er-Jahre ebenfalls einen Niedergang, führte die Arbeit aber weiter und bemühte sich um eine politische Öffnung. Den Durchbruch brachte die Bundesdelegiertenversammlung 1986, bei der sie sich in Rote Hilfe e. V. umbenannte und die Satzung gründlich überarbeitete – der Beginn der heutigen Organisation.
Der strömungsübergreifende Ansatz und die Kontakte in verschiedene soziale Bewegungen brachten neue Mitglieder, und vor allem ab 1995 wuchs der Rote Hilfe e. V. deutlich an. Nach erneuten Massenbeitritten der letzten Jahre zählt die Organisation heute mehr als 15.000 Mitglieder in über 50 Ortsgruppen, die linken Aktivist*innen bei staatlicher Repression zur Seite stehen. Viele Antifaschist*innen schätzen die solidarische Hilfe durch juristische, politische und finanzielle Unterstützung, wenn nach Protesten gegen Nazis Strafverfahren drohen.
Der Rote Hilfe e. V. selbst thematisiert das Jubiläum in Veranstaltungen, Publikationen und mit einer eigenen Homepage. Unter anderem ist die Ausstellung zur Geschichte der Roten Hilfe in verschiedenen Städten sowie online zu sehen, und der Film »Solidarität verbindet – 100 Jahre Rote Hilfe« hat am 7. März 2024 in Mannheim Premiere.