Nebelkerzenwerfen
2. März 2024
Höhenflug der AfD: Den Geschichtsrevisionismus nicht dulden! Gastkommentar von Jens-Christian Wagner
2024 könnte ein Schicksalsjahr werden. In Brandenburg, Thüringen und Sachsen stehen Landtagswahlen an, und erstmals könnte es der extrem rechten AfD gelingen, in einem Bundesland in Regierungsverantwortung zu gelangen. Insbesondere in Thüringen ist diese Gefahr virulent. Dort liegt die AfD derzeit in Wahlumfragen bei 36 Prozent. Wenn die FDP und die Grünen knapp die Fünfprozenthürde reißen, könnten gut 40 Prozent der Wähler:innenstimmen schon für eine absolute Mehrheit im Landtag reichen. Sehr weit sind Höcke und Co. davon nicht mehr entfernt.
Ein ganz wesentliches propagandistisches Kampffeld der AfD ist der Geschichtsrevisionismus, also der Versuch, die NS-Verbrechen zu relativieren, kleinzureden, zu verharmlosen oder gar zu leugnen. Warum machen die das? Die Antwort ist klar: Eine grundlegende Lehre aus den Verbrechen des National-sozialismus ist die Achtung von demokratischen Grundrechten und unteilbaren Menschenrechten. Das ist die Quintessenz unserer Erinnerungskultur, die deshalb von extrem Rechten als »Schuldkult« bekämpft wird, ein Begriff, den der ehemalige SS-Unterscharführer und spätere »Republikaner«-Chef Franz Schönhuber Anfang der 1980er-Jahre erfand und der von AfD und NPD popularisiert wurde.
Wer Migrant:innen nach Nordafrika deportieren möchte, der muss die Lehren aus der Geschichte der NS-Verbrechen bekämpfen. Deshalb fordert der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad« und ein Geschichtsbild, das »uns vor allen Dingen und zu allererst mit den großartigen Leistungen der Altvorderen in Berührung bringt«.1 Der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl 2024 Maximilian Krah wiederum postete im September 2023: »Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher. Wir haben allen Grund, stolz auf unser Land zu sein und auf die Menschen, die es aufgebaut haben. (…) Deshalb: Krieg’ mal raus, was Oma, Opa, Uroma und Uropa gemacht haben. Wo sie herkamen, was sie gekämpft und gelitten haben. (…) Sie haben gelebt und wollen jetzt, egal, wo sie sind, stolz auf dich sein. (…) Dann geht’s endlich um dich. Und um uns, als ein Volk.«2
Stolz auf die Vorfahren, die keine Verbrecher gewesen seien – das verweist auf einen zweiten Grund für den Geschichtsrevisionismus in der AfD: Sie ist eine nationalistische Partei. Wer deutsche Größe und Stolz auf unsere Geschichte postuliert, muss die NS-Verbrechen kleinreden. Auch deshalb ist der AfD die kritische Auseinandersetzung mit der Nazigeschichte ein Dorn im Auge. Mit allen Mitteln versuchen deshalb die AfD und ihr »patriotisches Vorfeld«, wie Höcke das giftige Gemisch aus Neonazis, Reichsbürgern und Verschwörungsideologen nennt, den Nationalsozialismus zu verharmlosen. Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland nannte die NS-Zeit bekanntlich einen »Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte«.
Beliebt ist in der AfD-Propaganda auch die Täter-Opfer-Umkehr. Die eigentlichen Kriegsverbrecher seien die Alliierten gewesen, heißt es zum Beispiel. Der im September 2023 knapp gescheiterte Nordhäuser AfD-Oberbürgermeisterkandidat Jörg Prophet etwa setzte die britischen Luftangriffe auf Dresden von Februar 1945 mit Auschwitz gleich und unterstellte den Briten eine »Killermoral«. Und die amerikanischen Befreier des KZ Mittelbau-Dora nannte er »morallos«.3
Zur Schuldumkehr gehört auch die in der AfD weit verbreitete absurde Behauptung, die Nationalsozialisten seien Linke gewesen, schließlich beinhalte das Wort Nationalsozialismus ja den »Sozialismus«. Hier wird Geschichtsklitterung betrieben und gelogen, dass sich die Balken biegen. Die Nazis waren gewalttätige Rechtsextreme, Linke gehörten zu ihren Hauptfeinden und ihren ersten Opfern – Kommunist:innen, Sozialdemokrat:innen und Gewerkschafter:innen. Der Antikommunismus gehörte wie der Antisemitismus zur ideologischen DNA der NSDAP. Das hindert die AfD nicht, ihre Gegner:innen als Nazis und Faschisten zu bezeichnen. Björn Höcke setzte die Anti-AfD-Demos im Januar 2024 mit den NS-Fackelmärschen von 1933 gleich und behauptete, die Demonstrant:innen seien eine von den »Kartellparteien« eingesetzte »Straßenkämpfertruppe«, also gewissermaßen eine neue SA.4
Das Ziel solcher Angriffe ist klar: Es ist der Versuch, die freiheitliche Demokratie zu delegitimieren und zugleich die eigenen ideologischen Verbindungslinien zum historischen Faschismus und Nationalsozialismus durch begriffliches Nebelkerzenwerfen zu verwischen.
Der rechte Geschichtsrevisionismus ist nicht einfach nur eine Meinung, über die man diskutieren kann, sondern er stellt als Angriff auf die reflexive Erinnerungskultur eine wesentliche Grundlage des demokratischen Miteinanders in der Gesellschaft infrage. Das darf nicht einfach hingenommen werden, erst recht nicht in den Gedenkstätten. Deshalb haben diese keine andere Wahl, als Funktionären der AfD die Teilnahme an Veranstaltungen in den Gedenkstätten zu verwehren, auch wenn sie sich dann als Opfer angeblicher Ausgrenzung inszenieren – denn das tun sie ja ohnehin.
1 Dokumentation »Die Höcke-Rede von Dresden in Wortlaut-Auszügen«, Die Zeit vom 18.1.2017 (https://www.zeit.de/news/2017-01/18/parteien-die-hoecke-rede-von-dresden-in-wortlaut-auszuegen-18171207).
2 Zit. nach NZZ, 7.9.2023 (https://www.nzz.ch/international/afd-spitzenkandidat-krah-deutsche-vorfahren-keine-verbrecher-ld.1755120).
3 Vgl. Jens-Christian Wagner, #NordhausenZusammen: Wie ein zivilgesellschaftliches Bündnis einen AfD-Oberbürgermeister verhinderte, in: Matthias Quent/Fabian Virchow (Hg.), Rechtsextrem, aber normal?! Die AfD zwischen Verbot und Volkspartei, München 2024 (im Druck).
4 Vgl. Tagesspiegel, 19.1.2024 (https://www.tagesspiegel.de/politik/chef-der-rechten-in-thuringen-hocke-vergleicht-anti-afd-demos-mit-nazi-aufmarschen-11079565.html