Suche nach Antworten
4. Juli 2024
Bombenattentate in Südtirol und die frühe Bundesrepublik
Wie ist es, den verstorbenen Vater als Rechtsterroristen kennenzulernen? Wie konnte dieser wie weitere Täter straffrei bleiben? Und welche Rolle spielte die DDR in der Thematisierung rechter Gewaltakte in Südtirol?
Traudl Bünger begibt sich in ihrem Buch akribisch auf die Suche nach Antworten und begegnet dem titelgebenden »Eisernen Schweigen« ihres Vaters mit einer vierjährigen Archivrecherche, bei der sie auch den Verhandlungsunwillen der damaligen Bundesrepublik in den Blick nimmt.
Entstanden ist dabei ein Buch, das zwei Zeitstränge verfolgt und diese immer wieder miteinander verbindet: zum einen die Recherche, die mit dem Fund von zu Zeitzündern präparierten Taschenuhren und einer Ausgabe von »Die Auschwitzlüge« auf dem Dachboden 2019 beginnt und dem Papierpfad mit über 60.000 Seiten Akten, Zeugenbefragungen, Polizeiermittlungen und Behördenkorrespondenzen durch Deutschland, Österreich und Italien bis in das Jahr 2023 folgt. Zum anderen die Entwicklung des Chemiestudenten Heinrich Bünger, der 1957 gemeinsam mit seinem Bruder Fritz den Bund Nationaler Studenten gründete und mehrere Bombenattentate in Südtirol plante und durchführte. Bei einem davon stirbt am 20. Oktober 1962 Gaspare E. in Verona.
1963 wird Manfred Schröder, einer der Mittäter, in der DDR wegen dort verübter Bombenanschläge festgenommen und legt ein umfassendes Geständnis ab. Die Ermittlungsarbeiten werden über eine Pressekonferenz dem italienischen Innenministerium bekannt, die dortigen Behörden hatten bis dahin erfolglos nach den Tätern gefahndet. Traudl Bünger zeichnet nach, wie es zunächst in Abwesenheit zu einem Prozess und einer Verurteilung 1966 in Italien kommt, ihr Vater aber nicht ausgeliefert wird. 1979 war ein neuer Prozess in der Bundesrepublik aufgenommen worden, der Bundesgerichtshof hob das Urteil allerdings später auf. Bünger berichtet ebenso, wie ihr Vater bei der Beschaffung von Alibis lügt und ihr Onkel vor der möglichen Strafverfolgung nach Südafrika flieht und wie ihres Vaters auch nach seinem Tod als »Südtirol«-Aktivisten gedacht wird.
Traudl Bünger nimmt die Leser*innen auf eine beeindruckende Reise durch die Zeit des Kalten Krieges und die Auseinandersetzungen um nationale Identität mit. Ihr Schreibstil ist dabei persönlich, sachlich zugleich und übersetzt die Papierwüsten der Akten in eine Rekonstruktion der Ereignisse. Und es ist nicht nur die Recherche, sondern auch die klare und schonungslose Haltung, mit der die Autorin ihre eigene Familiengeschichte durchleuchtet, mit ihrem Onkel ins Gespräch geht, rechte Bezüge in ihrer Erziehung anhand persönlicher Erzählungen aufzeigt, wie ihre Fahrten mit dem Bund heimattreuer Jugend, die Kinder zu Härte und Widerstand erziehen sollen. Sie verfolgt die Frage, wie sie so werden konnte, wie sie ist, mit einem Rechtsterroristen als Vater. Sie findet als Antwort radikales Mitgefühl und einen klaren Gerechtigkeitssinn. Doch auch die mahnenden Hinweise auf die Untätigkeit der Bundesrepublik und die Gefahr rechter Ideologie heute finden Platz in dem Buch.
Genau diese Mischung aus journalistischer Expertise, persönlichen Einblicken und einer klaren Haltung gegen rechts machen dieses Buch lesenswert und nicht zu einer Täteranalyse. Klare Leseempfehlung für einen Einblick in den Rechtsterror der frühen Bundesrepublik.