Deutsche Massaker in Griechenland
4. Juli 2024
Die Verbrechen der Wehrmacht auf dem Balkan
Die Verbrechen der SS im Juni 1944 im französischen Oradour und im Juni 1942 im einst tschechoslowakischen Lidice sind weitgehend bekannt, die Massenmorde der Wehrmacht auf dem Balkan sind dagegen kaum im kollektiven Gedächtnis der Tätergesellschaften verankert.
Im Sommer 1943 wurde in der nördlichen Peloponnes eine sich verstärkende PartisanInnentätigkeit registriert. Nach der italienischen Kapitulation im September, befürchteten die deutschen Okkupanten eine alliierte Landung. Im Oktober sollte eine Wehrmachtskompanie in der Bergregion von Kalavryta nach PartisanInnen suchen und geriet in einen Hinterhalt. Am 7. Dezember exekutierten PartisanInnen von ihnen damals gefangene Wehrmachtssoldaten. Das stellte zweifelsfrei einen eklatanten Bruch des Kriegsrechts dar, die deutsche Reaktion war brutal: Am 13. Dezember ermordeten die Soldaten alle Männer Kalavrytas, 511 Menschen, der jüngste ein zwölfjähriger Bub. Die Stadt wurde in Brand gesetzt. Die eingeschlossenen Frauen und Kinder ließ man nach den Exekutionen der Männer wieder frei, auf dem Rückmarsch in die Standorte führten die Einheiten weitere Exekutionen durch und zerstörten 25 Dörfer. Das Massaker von Kalavryta war das größte in Griechenland, es wurde im kollektiven Gedächtnis zum Symbol für die Besatzungspolitik und die Verbrechen der Wehrmacht.
Die Gemeinde Distomo liegt in einer kleinen Hochebene unweit des antiken Delphi. Seit April 1944 war es in dem Gebiet immer wieder zu kleineren Gefechten und Überfällen der griechischen Volksbefreiungsarmee ELAS auf Fahrzeugkolonnen der Wehrmacht gekommen. Zu diesem Zeitpunkt kontrollierten die deutschen Besatzer im wesentlichen nur noch strategische Punkte und Verbindungswege. Am 10. Juni 1944 überfielen Angehörige der 2. Kompanie des 7. SS-Panzergrenadierregiments der 4. SS-Panzergrenadierdivision unter dem Kommando des SS-Hauptsturmführers Fritz Lautenbach das kleine, nur wenige hundert Einwohner zählende Dorf Distomo. Sie ermordeten – vom Säugling bis zum Greis – unterschiedslos alle EinwohnerInnen, die sie antrafen, und verwüsteten das Dorf. Dem Massaker fielen insgesamt 218 Menschen zum Opfer.
Nur wenige der von den SS-Soldaten in Distomo angetroffenen BewohnerInnen haben in Verstecken oder, wie der damals knapp vierjährige Argyris Sfountouris, durch Zufall überlebt. Einzelheiten der überlieferten Berichte überlebender Opfer, griechischer Behörden, auch beteiligter SS-Leute und der wenige Tage später von Athen herbeigeholten Beobachter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz sowie Akten späterer Gerichtsverfahren zeichneten ein grauenvolles Bild des Geschehens und der barbarischen Zerstörungswut der SS-Truppe.
Auch dem Massaker in Distomo war ein Angriff der ELAS auf die SS-Kompanie vorausgegangen, die zur Partisanenbekämpfung ausgerückt war und bei Befragungen in Distomo erfahren hatte, dass tags zuvor eine Partisanengruppe die Ortschaft durchquert habe. Die SS war danach weitergezogen und kurz vor dem Nachbardorf Stiri in ein Gefecht geraten, bei dem 15 Partisanen und sechs SS-Männer getötet wurden. Für diesen Angriff rächte sich die SS-Einheit in Distomo auf schreckliche Weise.
Die Gemeinde Distomo erinnert an jedem Jahrestag unter starker griechischer und internationaler Beteiligung an das Massaker vom 10. Juni 1944, verbunden mit Veranstaltungen und einer Prozession zur großen Gedenkstätte, die auf einem Hügel etwas außerhalb der Gemeinde errichtet worden ist. Dort sind auf einer mehrteiligen Tafel Namen und Alter aller 218 Opfer zu lesen, in einem Schrein sind die Gebeine der Ermordeten aufbewahrt. In Distomo selbst ist ein 2005 vom damaligen griechischen Staatspräsidenten Karolos Papoulias in den Räumen der ehemaligen Schule eröffnetes Museum dem Gedenken an das traumatische Geschehen gewidmet.