Frauen in der Résistance

geschrieben von Brigitte und Gerhard Brändle

8. September 2024

Karlsruhe: Nazigegnerinnen im Gefängnis an der Riefstahlstraße

Sie waren Nazigegnerinnen und gehörten zu einer britischen Spezialeinheit, der SOE (Special Operations Executive). Sie kamen aus verschiedenen Ländern, sprachen jedoch perfekt Französisch. Sie absolvierten eine Ausbildung an Waffen und Sprengstoff, im Nahkampf und lautlosem Töten, sie lernten Fallschirmspringen, Kartenlesen und den Umgang mit Funkgeräten. Sie erhielten neue Identitäten mit fiktiven Lebensläufen. Sie gehörten zu den 39 Frauen von über 400 Mitgliedern der »Sektion F« (Frankreich) der SOE. Verantwortlich für die »Sektion F« war Vera Atkins, Nachrichtendienstoffizierin aus einer jüdischen Familie. Die Aufgaben der SOE bestanden in Sabotageaktionen hinter den feindlichen Linien sowie in der Unterstützung von Widerstandsgruppen. Die Mehrzahl der neun Frauen war schon vor ihrem Engagement bei der SOE politisch aktiv in der Résistance sowie bei der Fluchthilfe für britische Piloten, die 1940/41 über Frankreich abgesprungen waren bzw. abgeschossen wurden, und für aus Nazideutschland geflohene Menschen.

Verrat, Verhaftung, Verhör, Verschleppung

Die neun SOE-Agentinnen springen nach ihrer Ausbildung 1942 und 1943 über Frankreich ab oder werden mit Lysander-Kleinflugzeugen der Royal Air Force abgesetzt. Die meisten Frauen arbeiten als Funkerinnen, das heißt, sie sorgen für die Kommunikation zwischen London und in Frankreich operierenden Einheiten der SOE bzw. Résistance-Gruppen, die mit der SOE zusammenarbeiten. Oft geht es dabei um die Organisation des Materialtransports, also die Versorgung der lokalen Résistance mit Waffen und Sprengstoff zum Kampf gegen die Nazibesatzer. Die »Abwehrstelle«, so die Bezeichnung der Gegenspionage der Naziwehrmacht, sucht die Standorte der Funkstationen und kann Agenten in die SOE-Gruppen einschleusen. So vergehen bis zur Entdeckung und Verhaftung der Frauen meist nur wenige Monate. Die erste Station der SOE-Frauen nach der Verhaftung ist das Gestapo-Hauptquartier in der Avenue Foch in Paris, wo sie verhört und gefoltert werden. Danach verschleppen die Nazis sie ohne Anklage oder gar Urteil in »Schutzhaft« in das Gefängnis Fresnes südlich von Paris und am 12. Mai 1944 von dort über die Gestapo-Zentrale in Paris mit dem Zug in das Gefängnis in Karlsruhe.

Odette Sansom erinnert sich:

Gedenktafel auf dem Berg Semnoz bei Annecy. »Im Gedenken an Captain Peter M. Churchill (1909–1972), Agent der britischen Spezialeinsatztruppe SOE. Als Leiter des Spindle-Netzwerks landete er in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1943 mit dem Fallschirm auf dem Semnoz. Er wurde am nächsten Tag in Saint-Jorioz mit seiner Verbindungsagentin Odette Sansom verhaftet. Beide wurden nach Deutschland deportiert.« (Inschriftübersetzung, antifa)

Gedenktafel auf dem Berg Semnoz bei Annecy. »Im Gedenken an Captain Peter M. Churchill (1909–1972), Agent der britischen Spezialeinsatztruppe SOE. Als Leiter des Spindle-Netzwerks landete er in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1943 mit dem Fallschirm auf dem Semnoz. Er wurde am nächsten Tag in Saint-Jorioz mit seiner Verbindungsagentin Odette Sansom verhaftet. Beide wurden nach Deutschland deportiert.« (Inschriftübersetzung, antifa)

»Man brachte uns zusammen von Paris nach Deutschland. Wir kannten uns nicht. (…) In der Avenue Foch trafen wir uns zum ersten Mal. (…) Ich erinnere mich noch ganz genau an Kleinigkeiten. Eines der Mädchen besaß einen Lippenstift und wir alle benutzten ihn, wir gaben ihn herum und schminkten unsere Lippen. Wir waren alle jung und ganz verschieden voneinander, aber wir alle hatten von Anfang an die Überzeugung gehabt, dass wir nützlich sein könnten. (…) Nachdem wir in Karlsruhe angekommen waren, habe ich die anderen nie mehr gesehen. Im Zug trugen wir Handschellen, jede von uns war mit einer anderen zusammengeschlossen, so dass wir uns nicht frei bewegen konnten, aber richtig schlecht ging es uns nicht. Ich erinnere mich, dass eine von uns sogar einen Wachmann um eine Zigarette bat und er ihr eine gab. Doch tief im Innern hatten wir große Angst. Wir fragten uns, was wohl als nächstes kommen würde … Waren wir auf direktem Weg in den Tod? Wurden wir in ein KZ gebracht oder wieder in ein Gefängnis – wohin würde man uns bringen? Wir wollten es uns gar nicht ausmalen. (…) Aber trotzdem gibt es immer einen Funken Hoffnung, dass ein Wunder geschieht.«

Das Gefängnis: Wartesaal zu Mordfabriken

Acht Frauen der SOE werden am 13. Mai 1944 in Karlsruhe zwar getrennt voneinander, jedoch mit andern verurteilten Nazigegnerinnen zusammen eingesperrt. Auf Anweisung der Gestapo werden Andrée Borrel, Vera Leigh, Sonia Olschanezky und Diana Rowden am 6. Juli 1944 in das KZ Natzweiler-Struthof verschleppt. Spät am Abend ermorden die Nazis sie dort mit Phenolspritzen und verbrennen die Leichen im Krematorium. Am 12. September 1944 deportieren die Nazis Noor Inayat Khan, Yolande Beekman, Eliane Plewman und Madeleine Damerment ins KZ Dachau. Am nächsten Morgen werden die vier Frauen nach Misshandlungen durch Genickschuss ermordet und die Leichen im Krematorium verbrannt.

Odette Sansom nimmt eine Sonderstellung ein: Sie hatte bei ihrer Festnahme im April 1943 in Saint-Jorioz bei Annecy behauptet, sie sei mit dem ebenfalls verhafteten Peter Churchill verheiratet und dieser sei mit dem britischen Premierminister Winston Churchill verwandt. Die Nazis glaubten ihr und wollten die beiden SOE-Agenten zum Gefangenenaustausch benutzen. Deswegen verschleppen sie am 18. Juli 1944 Odette Sansom in das Frauen-KZ Ravensbrück, Peter Churchill nach Sachsenhausen, Flossenbürg und Dachau und von dort in das Straflager Innsbruck – beide überleben.

Wir erinnern an diese Schicksale, denn bis heute gilt: Die Namen der Nazigegnerinnen im Gefängnis an der Riefstahlstraße und ihr Widerstand gegen die Naziterrorherrschaft sind in Karlsruhe fast nicht bekannt.

Yolande Beekman, Andrée Borrel, Madeleine Damerment, Noor Inayat Khan, Vera Leigh, Sonia Olschanezky, Eliane Plewman, Diana Rowden und Odette Sansom – an diese neun Frauen, die 1944 im Karlsruher Gefängnis in der Riefstahlstraße eingesperrt waren, soll mit diesem Beitrag erinnert werden.

Lesehinweise:

Ken Follet: Die Leopardin, Köln 2001

Pam Jenoff: Die Frauen von Paris, Berlin 2020

Arne Molfenter: Die Frauen von Paris, Köln 2015

Monika Siedentopf: Absprung über Feindesland, München 2006