Ebenbürtig standhaft

geschrieben von Uschi Otten

8. September 2024

Zur Erinnerung an Zenzl Mühsam

Am 27. Juni 1955 kehrt die 71jährige Zenzl Mühsam nach 20 Jahren im sowjetischen Exil, das überwiegend aus Gefängnis, Zwangsarbeitslager und Verbannung bestand, nach Ostberlin, Hauptstadt der DDR, zurück. Gleich nach der Ankunft wird sie von der Kaderabteilung der SED zu absolutem Schweigen über das in der Sowjetunion Erlebte verpflichtet. Sie war nach der Ermordung Erich Mühsams am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg nach Prag geflohen und anschließend einer Einladung von Wilhelm Pieck und Jelena Stassowa nach Moskau gefolgt, die ihr die Veröffentlichung von Werken Mühsams versprachen. Ihnen vertrauend, hatte sie eben Mühsams Nachlass nach Moskau geholt, als sie vom NKWD verhaftet wird und ihre leidvolle Odyssee im stalinschen Terrorregime beginnt. 1915 hatte die 31jährige Bauerntochter aus der Hallertau den 37jährigen Dichter und anarchistischen Schriftsteller geheiratet, konnte sie endlich ihren unehelichen Sohn Siegfried zu sich nehmen. Aus eigener Lebenserfahrung teilt sie Mühsams Engagement für den Frieden und eine gerechte Gesellschaft, hat gleich ihm immer wieder alle bitteren Konsequenzen zu tragen.

Wenn ihre Wohnung auch als Treffpunkt von Kriegsgegnern und Revolutionären durch Spitzel des Bayerischen Königreichs überwacht wird, steht sie an Mühsams Seite, als sich im November 1918 eine Antikriegsdemonstration zum gänzlich unblutigen Sturz der Bayerischen Monarchie ausweitet. Doch der erhoffte Aufbruch in eine von Militarismus und Ausbeutung befreite Gesellschaft scheitert an nachfolgenden Machtkämpfen: Nach Gründung der bayerischen Republik namens Freistaat Bayern und der Ermordung ihres Ministerpräsidenten Kurt Eisner am 21. Februar 1919 in München wird unter Beteiligung Mühsams im April desselben Jahres die Münchner Räterepublik ausgerufen. Kurz darauf wird Mühsam durch sogenannte Republikanische Schutztruppen verhaftet. Auch Zenzl, nur sie kommt nach wenigen Tagen frei. Der blutigen Niederschlagung der zweiten, kommunistischen Räterepublik durch Reichswehr und Freikorps folgen neuerlich Verhaftungen, Zenzl flieht vorübergehend aus München.

Zenzl MühsamFoto: hufeisengegenrechts.de

Zenzl Mühsam
Foto: hufeisengegenrechts.de

Nachdem Mühsam, als Aktivist der Räterepublik zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt, 1924 auf Bewährung vorzeitig entlassen wird, beziehen sie ein Haus in der Berliner Hufeisensiedlung. Fortan begleitet Zenzl ihn durchs ganze Land im Einsatz für die Rote Hilfe. Vergeblich tritt Mühsam gegen den anwachsenden Nationalsozialismus für ein antifaschistisches Bündnis ein, wird in der Nacht nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 verhaftet, in wechselnden Gefängnissen und dem KZ Oranienburg als anarchistischer Revolutionär und Jude von den NS-Schergen besonders gequält, im Juli 1934 ermordet.

Im Prager Exil wagt es Zenzl, über die als Suizid propagierte Ermordung ihres Mannes zu berichten, anfänglich auch in der Sowjetunion über das Elend der KZ-Gefangenen aufzuklären. Im April 1936 unter konstruierter Anklage als »trotzkistischer Spion« verhaftet, wird sie nach Protesten aus dem Ausland sechs Monate später freigelassen. Ihr Bemühen um ein Ausreisevisum in die USA führt 1938 zu ihrer erneuten Verhaftung. Doch in Mühsam ebenbürtiger Standhaftigkeit lässt sie sich im Moskauer Butyrka-Gefängnis keine Denunziation von Bekannten abpressen, wird zu acht Jahren »Arbeitsbewährungslager« verurteilt.

Nach dem deutsch-sowjetischen Freundschaftspakt entgeht sie zwar der Auslieferung an die Gestapo, doch ihr Leidensweg setzt sich fort: Auf fünf Jahre Zwangsarbeitslager folgt Verbannung in der Nähe von Nowosibirsk, der durch Denunziation der Kommunistin Roberta Gropper vereitelten Rückkehr nach Deutschland die Arbeit im Kinderheim Iwanowo, wo sie 1949 ein drittes Mal verhaftet und anschließend zu fünfjähriger Verbannung nach Sibirien deportiert wird. Erst ein Jahr nach dem Tod Stalins darf Zenzl zurück nach Iwanowo und betreibt von dort im Briefwechsel mit Jelena Stassowa ihre Heimkehr.

In der DDR erhält sie als »Opfer des Faschismus« eine großzügige Rente und eine Wohnung in der Pankower Binzstraße 17. Weder dies noch Ordensverleihungen können sie von ihrem Lebensziel abhalten, das ihr die Kraft zum Überleben gab: der Veröffentlichung von Mühsams Werken. Manches wird ihr gelingen, wie auch Kopien seines Nachlasses aus Moskau, die jedoch nicht in ihre Hände, sondern in die Akademie der Künste gelangen. Obzwar gleichsam einer »Dauerbetreuung« linientreuer SED-Genossen unterstellt, die sie von einem Besuch von Mühsams Grab in Westberlin fernhalten und autonomes Wirken vielfach beschneiden, führt sie ein offenes Haus.

Nach Besuchen ihres in die USA ausgewanderten Sohnes Siegfried oder ihres Münchener Neffen Erich Elfinger nimmt die Staatssicherheit sie ins Visier: Auftakt liefert ein Ersuchen der VVN, zur »Zimmersuche für einen Genossen«, ehe sich dies als Vorwand entpuppt, sie gleich anderen Gulag-Überlebenden in der DDR zu »informeller Mitarbeit« zu nötigen. Sie gibt sich nicht her als IM, wird aber regelmäßig von der Stasi aufgesucht, um sie wie ihr Umfeld zu neutralisieren. Solch neuerliche Umstellung durch stalinistische Staatsgewalt stürzt sie in Depressionen, sie erkrankt und stirbt am 10. März 1962. Zunächst bestattet auf dem Friedhof der Sozialisten, wird ihre Urne 1992 in das Ehrengrab Erich Mühsams in Berlin-Dahlem überführt.