Ein Leben in Freiheit
8. September 2024
Petition zum Krieg in Nahost fordert Waffenstillstand als ersten Schritt. Gespräch mit Riad Othman, Medico
antifa: Wie hat sich das NGO-Netzwerk zur Petition »Für einen gerechten Frieden in Gaza – Waffenexporte stoppen und Hilfsblockade beenden!« zusammengefunden, und warum erst jetzt?
Riad Othman: Medico ist Teil der NGO-Landschaft, und natürlich stehen wir im Austausch. Einige Kolleg_innen hatten das Gefühl, es müsse mehr getan werden, auch öffentlich. Anfang Januar hatte es einen internationalen Brief gegen Waffenlieferungen gegeben, den damals kaum eine deutsche NGO unterschreiben wollte, im Mai erst folgte das deutsche Pendant. Daran sieht man, wie schwierig der Umgang mit dem Thema Israel/Palästina in Deutschland ist. Viele tun sich damit schwer.
antifa: Was fordert ihr?
R. O.: Im Kern geht es darum, das für alle geltende Recht auf ein Leben in Freiheit, Würde, Sicherheit und Frieden für alle Menschen in der Region einzufordern. Der Waffenstillstand kann nur ein erster Schritt auf dem Weg dahin sein. Ein zentrales Instrument, diesen durchzusetzen, wäre ein Stopp der Waffenexporte. Darüber hinaus fordern wir neben der Beendigung der Blockade Gazas auch ein Ende des Landraubs, ob durch Siedlungsbau im Westjordanland oder die Erweiterung israelischer Korridore in Gaza. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat die Besatzung im Juli als völkerrechtswidrig beschieden, die Bundesregierung sollte Konsequenzen daraus ziehen und mit der gebotenen Entschlossenheit auf ein Ende dieser Rechtsbrüche hinwirken.
Vor dem Internationalen Strafgerichtshof ist ein Verfahren anhängig, zu dem sich die Bundesregierung, wie schon im Fall des von Südafrika initiierten IGH-Verfahrens, problematisch positioniert. Wenn die deutsche Rede von internationalem Recht ernstgenommen werden will, muss die Bundesregierung die Verfahren aktiv unterstützen. Gleichzeitig ist für eine realistische Chance auf einen Waffenstillstand die Freilassung aller israelischen Geiseln und unrechtmäßig gefangen gehaltenen Palästinenser_innen unabdingbar.
antifa: Warum adressiert ihr die Bundesregierung?
R. O.: Zum einen, weil wir deutsche Organisationen sind, zum anderen, weil es uns um die spezifische Rolle der Bundesregierung geht: Sie ist eine der engsten Verbündeten Israels, wenn es um Waffenexporte, politische und juristische Rückendeckung geht, und spielt damit eine aktive Rolle bei dem, was vor Ort passiert. Gleichzeitig sehen wir als Medico in ihrer Politik hierzulande demokratiegefährdende Tendenzen, denn repressive Maßnahmen als vermeintliche Antisemitismusbekämpfung, die sich faktisch gegen den Einsatz für Menschenrechte in Palästina richten, könnten eine Blaupause zur Unterdrückung anderer politisch missliebiger Meinungen werden. Wir fordern deswegen von der Bundesregierung, das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu schützen. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass Antisemitismus ein riesiges Problem ist und es dringend Maßnahmen braucht, die wirksam und nicht symbolpolitisch darauf reagieren.
antifa: Die Petition liest sich nicht nur wie ein Appell an die Bundesregierung, auf die israelische Regierung einzuwirken, sondern gleichzeitig als Diskursintervention. War das eure Absicht?
R. O.: Ich kann nicht für alle Beteiligten sprechen, aber von Medicos Seite ist sie auf jeden Fall auch als Intervention gedacht. Die Bundesregierung, aber auch der Bundestag vertreten bei dem Thema eine Politik, die dem Willen der Mehrheit in Deutschland, die laut Umfragen gegen diese Art der Kriegsführung und für mehr Druck auf die israelische Regierung ist, klar zuwiderläuft. Das wird in der Politik überhaupt nicht abgebildet.
antifa: Ihr verzichtet darauf, den 7. Oktober 2023 explizit zu erwähnen, und benennt stattdessen die Opfer auf beiden Seiten. Warum?
R. O.: Wir wollen, dass keine der beiden Seiten mehr Opfer von Gräueltaten wird. Deswegen halten wir eine Regelung des Gesamtkonflikts für unabdingbar. Der Petitionstext konzentriert sich auf akut und mittelfristig notwendige Schritte, um das jetzige Töten und Sterben zu beenden. Er war nicht dazu angelegt, einen chronologischen Abriss der Kriegsverbrechen der letzten zehn Monate auf beiden Seiten zu geben oder auf Verbrechen vor dem 7. Oktober einzugehen. Kein Kriegsverbrechen rechtfertigt das andere.
antifa: Steckt hinter eurer Petition eine Gesamtstrategie? Wie geht es weiter?
R. O.: Die Petition und alles Weitere ist Work in progress. Es gibt keinen fertigen Gesamtplan, aber es sollte nicht dabei bleiben. Wir hoffen, dass daraus mehr wird, aber das liegt nicht nur an uns. Mit unserer Petition wollen wir klarmachen: Es ist ein deutsches Thema, es geht um die deutsche Regierung. Man muss nicht einmal Position im Konflikt selbst beziehen, um für Meinungsfreiheit in Deutschland und gegen Exporte von Waffen zum Einsatz in Gaza zu sein. Es geht hier auch um ein grundlegendes Demokratie- und Rechtsverständnis.