Andere entflammen

geschrieben von Ulrich Schneider

1. November 2024

Von Antifaschismus und Arbeitskämpfen: Claus-Jürgen Göpferts Buch »Wer nicht hören will, wird bestreikt!«

Es ist vielleicht ungewöhnlich, in antifa etwas über Arbeitskampfgeschichten zu lesen. Üblicherweise beschäftigen sich Beiträge mit historischer Erinnerung, Erfahrungen von Menschen in Flucht- und Verfolgungslagen, solidarischem Handeln gegen autoritäre Verhältnisse und Bestrebungen – nicht allein im deutschen Faschismus.

Und genau hier liegt die Klammer zu dem an dieser Stelle besprochenen Buch von Claus-Jürgen Göpfert. Göpfert, langjähriger Redakteur der Frankfurter Rundschau, hat in langen Interviews mit dem ehemaligen »Arbeitskampfbeauftragten« der Gewerkschaft Nahrung – Genuss – Gaststätten (NGG) Jürgen Hinzer nicht nur Gewerkschaftsgeschichte notiert, sondern in dem anschaulich bebilderten Buch die Menschen hinter den Nachrichten über Arbeitskämpfe in den Blick genommen.

Und so beginnt der Band mit einem ausführlichen Kapitel über den persönlichen und politischen Werdegang des Protagonisten. Geboren 1948 in einem Flüchtlingslager in der Lüneburger Heide, im »Dorf der 1.000 Sorgen«, wächst er später im Aachener Kohlerevier auf. Sein Vater, ein linker Sozialdemokrat, gab ihm auf den Weg, stolz zu sein auf die Geschichte der Arbeiterbewegung. Tatsächlich hat Jürgen Hinzer nicht vergessen, woher er kommt. -Dies prägte die politische und gewerkschaftliche Überzeugung von Anfang an.

Er hatte das Glück – so sieht er es – überlebende Häftlinge des KZ Buchenwald und andere Antifaschisten persönlich kennengelernt zu haben. Für ältere Semester reichen Hinweise auf Namen wie Willi Bleicher, Willy Schmidt und Jakob Moneta. Das waren hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre, die aus den Erfahrungen des deutschen Faschismus politische Konsequenzen gezogen haben. Dabei ging es ihnen nicht nur um Lohnkämpfe und Arbeitsbedingungen, sondern sie verbanden damit immer auch eine gesellschaftspolitische Alternative zu den kapitalistischen Verhältnissen, die nicht nur die Betriebe, sondern die gesamte Gesellschaft dominieren.

Claus-Jürgen Göpfert: »Wer nicht hören will, wird bestreikt! Jürgen Hinzers Arbeitskampfgeschichten in der Gewerkschaft NGG seit 1979. VSA-Verlag, Hamburg 2023, 214 Seiten, 16,80 Euro

Claus-Jürgen Göpfert: »Wer nicht hören will, wird bestreikt! Jürgen Hinzers Arbeitskampfgeschichten in der Gewerkschaft NGG seit 1979. VSA-Verlag, Hamburg 2023, 214 Seiten, 16,80 Euro

Zu den prägenden Erlebnissen gehörten für Jürgen Hinzer nicht nur Realerfahrungen im Kapitalismus, er wird als gewählter Jugendvertreter in einem Baubetrieb in Eschweiler ohne Begründung gekündigt, sondern auch die Lektüre von Bruno Apitz’ Roman »Nackt unter Wölfen«, der damals in der IG-Bergbau-Mitgliederzeitschrift als Fortsetzungsroman abgedruckt wurde. Hier erfuhr er von praktischer Solidarität mit den Schwächsten und gelebter Humanität unter Extrembedingungen. Nach seiner Überzeugung müssen Gewerkschaften klar Position beziehen, wie zum Beispiel der spätere hessische DGB-Vorsitzende Dieter Hooge auf der Kundgebung am 10. Mai 1975 auf dem Frankfurter Römerberg vor 40.000 Teilnehmenden, unter ihnen Jürgen Hinzer, zum 30. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg.

Jürgen Hinzer arbeitete für eine Gewerkschaft, die zwar einen ordentlichen Organisationsgrad hatte, aber in der es viele Jahrzehnte aufgrund der betrieblichen Strukturen keine Arbeitskämpfe gab, was die Unternehmen zum Lohndrücken und zur Verschlechterung von Arbeitsbedingungen nutzten. Anfang der 1980er-Jahre organisierte Hinzer mit den Kolleginnen und Kollegen der ÖTV den ersten Streik von Fernfahrern im hessischen Gräfenhausen, wo vor einigen Monaten polnische Speditionsfahrer ebenfalls in einen Streik getreten sind. Es folgten weit über 100 Arbeitskämpfe in abgelegenen Regionen, in Brauereien und Großbäckereien, gegen Weltkonzerne wie Coca-Cola oder in der Nobel-Hotellerie im Dorint Wiesbaden, so dass, wie Hinzer sich erinnerte, »die Kriegsminister ihre Betten selber machen mussten«. Über diese Arbeitskämpfe sprach der Herausgeber auch mit Weggefährten, die lebendig von ihren Erfahrungen mit Jürgen Hinzer berichteten.

Schon in seinen Arbeitskämpfen erweist sich Jürgen Hinzer als Internationalist. Nicht nur wegen der multikulturellen Zusammensetzung der Belegschaften oder den internationalen Konzernzentralen, gegen die sich die Aktionen richteten, für ihn gehörte die Solidarität zum Beispiel mit dem chilenischen Volk gegen das Pinochet-Regime oder mit den Kämpfenden vom Taksim-Platz in Istanbul zur gewerkschaftlichen Aufgabe. Und er reiste nicht nur im Auftrag seiner Gewerkschaft zu Treffen ins Ausland, sondern organisierte auch Solidaritätsaktionen für Arbeitskämpfe und Besuche von Streikenden und aktiven Gewerkschaftern in unserem Land.

In einem Interview zu seinem 75. Geburtstag, das den Abschluss des vorliegenden Buches bildet, beschreibt Jürgen Hinzer noch einmal seine persönliche und politische Prägung durch antifaschistische Vorbilder. Gleichzeitig betont er, was immer sein politisches Motto in den gewerkschaftlichen Kämpfen war: »Nur wer selbst entflammt ist, kann andere entflammen!« Und in diesem Sinne ist das Buch keine Geschichtsdarstellung über einen engagierten Gewerkschafter, sondern ein Angebot zur Entwicklung einer eigenen Haltung, die sich an überzeugenden Vorbildern orientiert. Dass er nun selbst ein solches Vorbild geworden ist, würde er in seiner Bescheidenheit zurückweisen. Das Buch mit seinen vielfältigen und anschaulichen Beispielen von konsequentem gewerkschaftlichem und antifaschistischem Handeln spricht aber für sich.