Feinfühliges Porträt
1. November 2024
Der Spielfilm »In Liebe, Eure Hilde« und die Widerstandsgruppe »Rote Kapelle«
Im September 2021 erschien im Kulturteil der antifa eine Besprechung zu einer Dokumentation, die sich mit dem häufig verdrängten Widerstand der »Roten Kapelle« beschäftigte. Im letzten Satz des Textes wies ich damals darauf hin, dass eine »größere filmische Aufarbeitung der Geschichte der zahlreichen Frauen der Roten Kapelle« bislang ausstehe. Drei Jahre später gehört dieser Satz revidiert, denn der Spielfilm »In Liebe, Eure Hilde« von Regisseur Andreas Dresen nimmt sich genau dieser Aufgabe an.
Hilde Coppi war Widerstandskämpferin in Berlin und Mitglied des Netzwerks »Rote Kapelle«. Sie war auch Freundin, Frau und Mutter, sie war verliebt und liebevoll, ruhig und reserviert, schüchtern vielleicht und manchmal ängstlich, auch witzig und klug. Sie war treu, stolz und unerschrocken, selbst im Angesicht größter Gefahr.
Alle diese Eigenschaften, die einen Menschen zum Menschen machen, gehen in der Identität der Widerstandskämpfer_innen, wie sie porträtiert werden und wie wir an sie erinnern, häufig auf. Das trifft auf alle Widerstandskämpfer_innen zu, denn die Erinnerung errichtet zwar eine Brücke zwischen uns und jenen, an die wir erinnern, die Zeit macht diese Brücke aber unpassierbar. Auch diejenigen, die die Kämpfer_innen noch selbst kannten, erliegen der Zeit und mit ihnen die persönlichen Beziehungen, Geschichten und Anekdoten, die einen Menschen nahbar machen. Das ist wahr für alle herausragenden Persönlichkeiten, insbesondere aber für jene, deren Leben von den Tätern des NS-Regimes, oder anderen Terrorregimen, vorzeitig beendet wurde.
Die Stärke des Spielfilms besteht im feinfühligen Porträt Hilde Coppis, gespielt von Liv Lisa Fries, durch das uns Hilde als Mensch in ihren verschiedenen Facetten auf der Leinwand begegnet. Der Film erzählt die Geschichte ihres letzten Lebensjahrs in zwei Strängen, die beide auf das letzte, endgültige Ereignis hinlaufen: ihre Hinrichtung unter dem Fallbeil in Plötzensee.
Die Geschichte ihres letzten Sommers ist nicht nur eine des Widerstands, sondern auch eine ihrer Liebe zu ihrem Ehemann, Hans Coppi, gespielt von Johannes Hegemann. Der Film zeigt sie, wie sie Ausflüge in den Wald mit anderen Mitgliedern der »Kapelle« unternehmen, wie Hilde und Hans gemeinsam lernen, mit dem Funkgerät umzugehen, wie sie illegale Zettel gegen den Krieg in Berlins Straßen verkleben, wie auch der Widerstandskampf gefüllt war mit Aufregung und Spaß, trotzdem melancholisch. Und auch die Angst holte sie immer wieder ein. Er zeigt ihren ersten Kuss und viele, die darauf folgten, ihr gemeinsames Glück darüber, dass Hilde unerwartet schwanger wird.
Diese Bilder wechseln sich ab mit jenen, die zeitlich nach der Verhaftung der Mitglieder der »Kapelle« spielen. Hilde ist dann im achten Monat schwanger und wird ins Frauengefängnis in der Barnimstraße in Berlin-Friedrichshain verbracht.
Die Demütigungserfahrungen der Haft werden dargestellt, während der Geburt nehmen sie an Grausamkeit noch zu. Der gemeinsame Sohn, den sie nach seinem Vater Hans nennt, darf bei Hilde nur bleiben, wenn ihr Körper es zulässt, ihn zu stillen; eine Bedingung, die umso grausamer ist, weil die Nahrungsrationen auf der Entbindungsstation unzureichend sind und die psychische und physische Belastung unermesslich. Die Freude, als Hilde schließlich stillen kann und Hans behalten, wird gebrochen, als andere Frauen auf der Entbindungsstation die gegenteilige Erfahrung machen müssen.
Die gemeinsame Zeit von Hans und Hilde, verbracht in einer winzigen kargen Zelle in der Barnimstraße, endet, als Hans acht Monate alt ist und Hilde ihn ihrer Mutter übergeben muss, kurz bevor sie nach Plötzensee gebracht wird. Die letzten Minuten ihres Lebens steht sie in einer Schlange auf ihre Ermordung wartend, auf ihr Gesicht fällt ein letztes Mal die Sonne.
Andreas Dresen gelingt nicht nur ein Porträt von Hilde Coppi. »In Liebe, Eure Hilde« ist gleichermaßen ein filmisches Denkmal für all jene Frauen, die schwanger in der Barnimstraße gehalten wurden, dort ihre Kinder zur Welt bringen und sie entweder direkt oder nach kurzer Zeit wieder hergeben mussten. Das Grauen des Nationalsozialismus, die millionenfache Ermordung von Menschen, die nicht zum imaginierten Volkskörper gehörten, durch seine industrielle Tötungsmaschinerie besteht aus Millionen einzelnen Schicksalen, die die Auslöschung des individuellen Lebens bedeuteten. Der Film wirft auf eines von ihnen ein Schlaglicht: Hans und Hilde Coppi durften ihren Sohn nicht aufwachsen sehen, weil sie das Richtige zu tun bereit waren.