Unbewusstes Gedenken

geschrieben von Jana Lubinova und Ruben Schenzle

1. November 2024

In der Slowakei wurde an den 80. Jahrestag des Nationalaufstands 1944 erinnert

Am Tag vor dem großen Jubiläum am 29. August 2024 ist in der Stadt Banská Bystrica Großreinemachen angesagt. Am Museum des slowakischen Nationalaufstandes schrubben Arbeiter mit Hochdruckreinigern die Fassade des als zweigeteilte Betonblase konstruierten Gebäudes. Selbst der letzte Grashalm wird aus den Fugen zwischen den Pflastersteinen entfernt. Zur selben Zeit errichten Soldaten die große Bühne, auf der tags drauf die Politprominenz des Landes spricht. Wie uneindeutig die Slowakei mit dem Gedenken an jenen heroischen Versuch der Selbstbefreiung umgeht, wird rund um den Jahrestag besonders deutlich.

Militaria, Uniformen und Alltagsutensilien

Doch bleiben wir zunächst beim Museum selbst. Während der Komplex für die Feierlichkeiten außen wie frisch aus dem Ei gepellt wirkt, legt sich drinnen Staub über die gezeigte Dauerausstellung. Auf mehreren Etagen ziehen sich Vitrinen, die nichts als Militaria, Uniformen und wahllos anmutende Alltagsutensilien enthalten. Man merkt schnell, dass hier seit der Einrichtung des Museums im Jahr 1969 wenig verändert wurde. Einzig ein paar neuere Tafeln zeugen von einem Wandel: Zum Beispiel wird auf die namentliche Nennung der slowakischen Nazikollaborateure rund um den Priester Jozef Tiso konsequent verzichtet. Der klerikal-faschistische Vordenker seiner Partei, Andrej Hlinka, ist 2008 vom Parlament sogar rehabilitiert worden. Indes fehlt nirgends der explizite Verweis auf späteres, von den kommunistischen Machthabern in der Tschechoslowakei begangenes Unrecht. Viele von ihnen hatten aktiv im antifaschistischen Widerstand mitgewirkt. Längst ist das heroisierende Gedenken, das in der ČSSR staatstragend war, einem unverhohlenen Antikommunismus gewichen.

Vor dem Hintergrund, dass die meisten Menschen in Deutschland die Slowakei sowieso mit Slowenien verwechseln, ließe sich ein solcher Revisionismus als Provinzposse abtun. Doch dafür ist die Bedeutung des Slowakischen Nationalaufstands von 1944 zu immens. Im ganzen Land kämpften über 60.000 Personen gegen die deutschen Besatzer und – der Aufstand besaß durchaus Dimensionen eines Bürgerkriegs – ihre slowakischen Helfer. Unterstützt wurden die Aufständischen von internationalen Kämpfer*innen. Darunter entflohene Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen aus zahlreichen Ländern. Auch Rom*nja sowie Jüdinnen und Juden kämpften mit. Der gefallenen Haviva Reick, eine von vier Kämpfer*innen aus Palästina, ist auf dem Gelände des Nationalmuseums ein eigener Garten gewidmet.

Global betrachtet sticht der Organisationsgrad der Volkserhebung heraus: Bereits im Vorfeld hatten sich desertierende Einheiten der slowakischen Streitkräfte mit dem kommunistischen Widerstand sowie der liberalen Exilregierung in London und der Heeresleitung der Roten Armee in Moskau koordiniert. Erklärtes Ziel war es, die Truppenkonzentration der Wehrmacht an der Ostfront zu schwächen und so das Vorrücken der Sowjetarmee nach Westen zu beschleunigen, um mit geeinten Kräften das Land von den Faschisten zu befreien. Doch die reagierten mit allen verfügbaren Mitteln. Hunderte Dörfer wurden zerstört, tausende Einwohner*innen massakriert. Auch die deutsche Minderheit wurde zum Ziel für Vergeltungsmaßnahmen der Aufständischen. Bis heute erinnern im ganzen Land Mahnmale an jene Verbrechen. Am 28. Oktober 1944 nahm die Wehrmacht Banská Bystrica ein. 60 Tage nach Ausbruch wurde der Aufstand aufgrund der militärischen Übermacht beendet. Einzelne Partisanenverbände kämpften bis Kriegsende weiter.

Ein patriotisches Familienfest

Was bleibt 80 Jahre später? Inzwischen bildet der 29. August, zugleich Nationalfeiertag, den Anlass für ein vom Verteidigungsministerium inszeniertes patriotisches Familienfest. Es gibt zum Beispiel viel Militärgerät zum Anfassen, historische Schauschlachten, Folklore, Feuerwerk und eine mehrstündige Militärparade inklusive Panzern, NATO-Truppen, Fallschirmjägern und einer Düsenjägershow – erstmalig mit neuen F16-Kampfjets, nachdem die älteren MiGs an die Ukraine abgegeben wurden. Doch sowohl Präsident Peter Pellegrini als auch Ministerpräsident Robert Fico – beide Mitglieder der linkspopulistischen Smer – konterkarieren die mit viel Popanz zur Schau gestellte neue Westbindung. In ihren Reden drücken sie allen am Aufstand beteiligten Nationen, »die für unsere heutige Freiheit ihr Leben gegeben haben«, ihre Dankbarkeit aus. Allen voran Russland, das durch Ausnahmeregelungen noch immer Uran und Gas in die Slowakei liefert. Unter den Ehrengästen saß der russische Botschafter in der ersten Reihe.

Noch leben einige Veteran*innen des Aufstands. Wie Vladimír Strmeň, der zum diesjährigen Jubiläum dazu aufrief: »Schützt den Frieden, er wurde schwer errungen.« Im offiziellen Umgang mit dem Nationalaufstand in der Slowakei überwiegen jedoch Widersprüche. Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema findet kaum statt. Die historische Bedeutung ist, wenn überhaupt, nur unbewusst präsent. Und dieses historisch Unbewusste droht – wie die Beispiele zeigen – zum Spielball demagogischer Politik zu werden.

Neuere Literatur

Lenka Šindelářová: Finale der Vernichtung. Die Einsatzgruppe H in der Slowakei, 1944/1945. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2013

Zum Autor*innenpaar: Jana Lubinova und Ruben Schenzle besuchen die Slowakei regelmäßig und widmen sich in einer Kleinstadt in der Nähe von Trenčín der Erkundung eines ehemaligen jüdischen Friedhofs. Sie betreiben dazu das Weblog Gedenkwerkstatt Nemšova | Pamätná dielňa Nemšova unter: blogs.fu-berlin.de/nemsova