Gedenkstättenlandschaft in Gefahr

geschrieben von Ulrich Schneider

1. November 2024

Rechtsentwicklung und Erinnerungsarbeit

Die politische Rechtsentwicklung verbunden mit dem massiven Vormarsch der AfD nicht nur in den östlichen Bundesländern bleibt nicht ohne Konsequenzen für die Geschichts- und Erinnerungsarbeit. Schon zuvor hat die AfD mit parlamentarischen und politischen Vorstößen versucht, Einfluss auf die Arbeit an Gedenkorten, in Gedenkstätten und von zivilgesellschaftlichen antifaschistischen Initiativen zu nehmen. Solche Vorstöße fanden nicht nur in östlichen Bundesländern statt, sondern zum Beispiel auch in Hessen, wo die AfD im Kasseler Stadtparlament einer Jugendbildungseinrichtung die städtische Förderung streichen lassen wollte, weil diese gemeinsam mit der Kasseler VVN-BdA antifaschistische Stadtrundgänge »Auf den Spuren der Erinnerung« anbot. Das galt in den Augen der AfD-Fraktion als »Zusammenarbeit mit einer linksextremistischen Organisation«. Dieser Vorstoß wurde damals fraktionsübergreifend zurückgewiesen, macht aber deutlich, welche Instrumente die parlamentarischen Möglichkeiten bieten, um antifaschistische Gedenk- und Erinnerungsarbeit zu behindern.

Wachsender Einfluss der Rechten

Das sehen auch die etablierten Einrichtungen der Gedenkstättenlandschaft ähnlich. Im September 2024 fand eine bundesweite Gedenkstättentagung in Weimar statt. Sie stand unter der Überschrift: »Kulturkampf von Rechts: Gefahren und Gegenstrategien«. Die gut achtzig Teilnehmenden aus allen Teilen der Bundesrepublik, hauptamtliche Mitarbeitende von Gedenkstätten, Vertreter von Gedenk- und Erinnerungsinitiativen sowie Referenten aus verschiedenen Landeszentralen für politische Bildung, diskutierten Fragen, wie »Wie gehen Gedenkstätten und Erinnerungsorte mit rechtsextremen und -populistischen Anfechtungen um?« und erörterten gemeinsam juristische, sicherheitstechnische und politische Aufgaben, die sich aus dem wachsenden gesellschaftlichen Einfluss der extremen Rechten für die Arbeit dieser Gedenk-orte ergeben könnten.

Dabei wurde nicht nur auf die Zahl von extrem rechten Provokationen hingewiesen, sondern auch über mögliche Konsequenzen gesprochen und darüber, was Sympathisanten der extremen Rechten in Verwaltungseinrichtungen, die mit der administrativen und finanziellen Abwicklung beauftragt sind, bewirken können. Begründet wurde dieses Thema in der Einladung zur Tagung mit den Worten: »Die Wahlerfolge rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien in Deutschland, Europa und den USA lassen sichtbar werden, dass der Wertehorizont der liberalen Demokratie und der Menschenrechte zunehmend in die Defensive geraten. Kurz nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen wollen wir daher diskutieren, wie sich die Gedenkstättenlandschaft zu den NS-Verbrechen angesichts bereits bestehender und künftiger Gefahrenlagen wappnen kann: Welche Erfahrungen werden vor Ort bereits gemacht, welche Gegenmaßnahmen ergriffen? Welche Ansätze bestehen bereits, um Gedenkstättenmitarbeiter*innen resilient(er) gegen rechtsextreme und -populistische Angriffe zu machen? Vor welchen Herausforderungen stehen demokratische Netzwerke und Bündnisse? Und was steht für Gedenkstätten und eine kritisch-reflexive Erinnerungskultur zu befürchten, wenn rechtsextreme und -populistische Parteien staatliche Machtmittel in die Hand bekommen?«

In Zeitz Gegenteil bewirkt

Dass es sich bei dieser Situationsbeschreibung nicht um eine »Überdramatisierung« handelt, belegen einige Ereignisse aus den vergangenen Wochen, die hier schlaglichtartig benannt werden sollen. Bundesweite Empörung löste Anfang Oktober 2024 eine politische Provokation aus, als in Zeitz (Burgenlandkreis, Sachsen-Anhalt) offenkundig extreme Rechte in einer Nacht alle zehn in dieser Stadt verlegten Stolpersteine aus den Bodenfundamenten gebrochen und gestohlen haben. Solche Diebstähle gab es in den östlichen Bundesländern schon mehrfach. Teils konnte man dann auf Webseiten der extremen Rechten lesen, die Täter seien sicherlich »polnische Metalldiebe«, die die Messingplatten zu Geld machen wollten. So versucht man, mit der eigenen Tat noch Stimmung gegen »Ausländer« zu machen. In Zeitz bewirkte diese faschistische Provokation jedoch das Gegenteil. Parteiübergreifend – vom CDU-Landrat bis zur Linke-Fraktionsvorsitzenden – wurde diese Schändung verurteilt. Ein Spendenaufruf zur Wiederherstellung der Stolpersteine vom Bündnis für Vielfalt und Demokratie sowie der Initiative Stolpersteine für Zeitz brachte so viel Geld ein, dass jetzt deutlich mehr Stolpersteine gesetzt werden können als zuvor. Auch der Staatsschutz ermittelt – laut Medienangaben, »da ein antisemitischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden könne«. Allein die Begründung irritiert. Wenn es »nur« ein politischer Hintergrund gewesen wäre, würde dann nicht ermittelt?

Wenige Tage später fanden die Neonazis Nachahmer in Crossen an der Elster (Saale-Holzland-Kreis, Thüringen), wo ein gerade verlegter Stolperstein für einen Kommunisten, der noch im Februar 1945 im KZ Sachsenhausen ermordet worden war, aus dem Pflaster gerissen und gestohlen wurde. Zu Recht heißt es in einer Erklärung der dortigen Antifaschisten: »Mit diesen Taten soll die Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes ausgelöscht und die von Höcke proklamierte ›erinnerungspolitische Wende um 180 Grad‹ eingeläutet und beschleunigt werden. Wir verurteilen diese widerwärtige Tat, welche sich in eine seit Jahren andauernde und in den letzten Monaten stark ansteigende Reihe von Schändungen an Erinnerungsorten, Mahnmalen und Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Naziregimes einreiht.« Und tatsächlich waren in den vergangenen Monaten an verschiedenen Gedenkstätten, Tafeln und Monumenten rechte Schmierereien und Beschädigungen festzustellen. Die extreme Rechte glaubt sich damit im »gesellschaftlichen Aufwind«.

Aber es sind nicht nur neofaschistische Provokateure und Gewalttäter, die Angriffe auf das Gedenken umsetzen. Auch öffentliche Einrichtungen und Institutionen betreiben ideologisch begründete Angriffe auf eine antifaschistische Erinnerungskultur. Ob es sich um »vorauseilenden Gehorsam« gegenüber der erstarkten AfD oder um eigene geschichtspolitische Überzeugungen handelt, lässt sich nicht immer auseinanderhalten. Die Folgen für das antifaschistische Erinnern sind jedenfalls erkennbar. Drei Beispiele sollen dafür genügen.

Verfolgte des »kommunistischen Terrors«?

Seit vielen Jahren gibt es in Halle an der Saale eine politische Debatte zum Umgang mit der Gedenkstätte »Roter Ochse«. Als Haftstätte wurde das Gebäude bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts genutzt, zuerst als »Straf- und Besserungsanstalt«, später als Gefängnis. Diese Nutzung überdauerte das Kaiserreich und die Weimarer Republik. In der NS-Zeit wurde diese Einrichtung nicht nur als Haftstätte weitergeführt, sondern hatte auch als Folterstätte bis 1945 eine traurige Berühmtheit. Zudem wurde an diesem Ort auch eine Hinrichtungsstätte betrieben. Nach den heutigen Kenntnissen wurden hier 549 Menschen aus 15 europäischen Ländern hingerichtet, Widerstandskämpfer*innen, Zwangsarbeiter oder andere Menschen, die nicht den politischen oder ideologischen Vorstellungen des NS-Regimes entsprachen. Dass das Zuchthaus, wie es in allen Teilen Deutschlands üblich war, nach der Befreiung von Faschismus und Krieg weiterbetrieben wurde, führt dazu, dass immer wieder versucht wird, eine Gleichsetzung zwischen faschistischem Terror und Nachnutzung in der SBZ/DDR zu konstruieren. Besonders ärgerlich wurde es, wenn man Kriegs- und NS-Verbrecher, die nach 1945 dort einsaßen, zu »Verfolgten des kommunistischen Terrors« deklarierte. Die jüngste Debatte bezieht sich auf die Errichtung eines gestaltenden Kunstwerkes »für alle Opfer an diesem Ort«. Der VVN-BdA-Landesverband Sachsen-Anhalt erklärte dazu, man wende sich nicht gegen das Kunstwerk von Prof. Bernd Göbel. Es sei beeindruckend und verstörend. Jedoch »eine Gleichsetzung der Opfer und Widerstandskämpfer*innen gegen das deutsche faschistische System mit den politisch Verfolgten von SBZ/DDR ist nicht hinnehmbar. Die Gleichsetzung relativiert und verharmlost das verbrecherische deutsche faschistische System und dämonisiert die DDR. Schlimm genug, dass es in der DDR politisch Verfolgte gab, aber die Dimensionen der Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen sind nicht vergleichbar.«

Bloßes Versäumnis der Landkreisverwaltung?

Geschichtspolitische Konsequenz hat auch scheinbar einfaches »Verwaltungshandeln«. Vor wenigen Wochen gingen Berichte durch die überregionale Presse, dass ein Investor seine Pläne für die kommerzielle Nutzung der Stollenanlage, die die Häftlinge des Außenlagers vom KZ Buchenwald Langenstein-Zwieberge in den Berg treiben mussten, vorgestellt hat. Das Erschrecken darüber war groß, vor allem, als erkennbar wurde, dass die Landkreisverwaltung es vollkommen versäumt hat, diesen Ort, der mit dem Leid von hunderten Häftlingen direkt verbunden ist, unter Denkmalschutz zu stellen und einer angemessenen erinnerungspolitischen Nutzung zuzuführen. Nach den Medienberichten war die Unruhe in der politischen Landschaft spürbar, aber schon bald berief man sich auf eine vor längerer Zeit vollzogene Eigentumsübertragung und andere »Hemmnisse«, die einer angemessenen Erinnerungsarbeit im Wege stehen würden. Dieses Beispiel zeigt, dass auch »Geschichtsvergessenheit« in Verwaltungen eine Herausforderung für antifaschistische Erinnerung sein kann.

Politisch deutlicher waren hingegen die Vorgänge um die Gedenkstätte im nordrhein-westfälischen Stukenbrock, wo die örtliche CDU im Zusammenwirken mit der AfD sich gegen eine Finanzierung einer Gedenk- und Erinnerungsstätte am Ort eines der größten Lager für sowjetische Kriegsgefangene, an dem auch Zwangsarbeiter und weitere Kriegsgefangene zu Tode gekommen sind, aussprach. Diese Verweigerung der kommunalen Finanzierung bedeutete damals nicht nur eine Lücke bei den Geldmitteln, sondern blockierte – auf Grund der Regelungen für öffentliche Zuwendungen – auch die Bereitstellung einer deutlich größeren Summe von Landesmitteln, so dass das gesamte Entwicklungsprojekt auf der Kippe stand. Es bedurfte massiver politischer Einflussnahme seitens der Landespolitik, dass diese kommunale Entscheidung später in Teilen revidiert wurde. Das Beispiel macht aber deutlich, welche politischen Einflussmöglichkeiten der AfD zur Blockierung von Geschichts- und Erinnerungspolitik im antifaschistischen Sinne zur Verfügung stehen.

Es stellt sich daher die Frage, in welchem Maße Gedenkorte und antifaschistische Erinnerungsinitiativen diese Bedrohung für sich ebenfalls empfinden und wie sie darauf zu reagieren gedenken. Anfang Oktober wandte sich die antifa-Redaktion an verschiedene Einrichtungen und Initiativen in den drei östlichen Bundesländern, die von dem AfD-Einflusszuwachs besonders betroffen sind. Wir wollten von ihnen wissen, welche Rolle aus ihrer Sicht die jeweiligen Gedenkorte in der Erinnerungspolitik des Bundeslandes spielen, welche Folgen durch den gewachsenen Einfluss der AfD – egal ob mit oder ohne Regierungsbeteiligung – auf den Umgang mit den jeweiligen Gedenkorten zu befürchten sind und welche Möglichkeiten die Zivilgesellschaft (d. h. antifaschistische Verbände und gesellschaftliche Kräfte) hat, diesen Folgen zu begegnen. Da viele der von uns angeschriebenen Einrichtungen ehrenamtlich betreut werden, erhielten wir in der Kürze der Zeit weniger Rückmeldungen als erwartet. Dennoch sind wir dankbar für alle Antworten. Denn sie zeigen, dass man in den betreffenden Einrichtungen das Problem in seiner ganzen Dimension sieht und an Handlungsoptionen arbeitet.

Für die Lagerarbeitsgemeinschaft (LAG) Sachsenburg, die schon seit Jahren mit den kommunalen Trägern und der sächsischen Landesregierung deutliche Auseinandersetzungen austrägt, konnte deren Sprecherin Gisela Heiden eine positive Nachricht übermitteln. Ein Bewilligungsbescheid des Landes Sachsen sei vor der Konstituierung des neuen Landtages eingetroffen. Der Stadtrat, dem auch AfD-Abgeordnete angehören, habe einstimmig dem Geld zugestimmt, weil auch eine städtebauliche Maßnahme mit der Bewilligung verbunden war. Aus den langjährigen Erfahrungen der LAG formuliert Gisela Heiden, eine Handlungsoption gegen die Blockade durch Rechtskräfte sei es, gesellschaftliche Kräfte vor Ort stärker einzubinden.

Antifaschistische Initiativen vernetzen

Ähnlich argumentieren auch die LAG Buchenwald-Dora e. V. sowie die Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/Freundeskreis e. V. Sie plädieren für eine engere Vernetzung aller antifaschistischen Initiativen, wobei auch die Bedeutung des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos für die Sicherung des Erinnerungsortes nicht unterschätzt werden dürfe. Die LAG Buchenwald befürchtet – nach den Erfahrungen mit der AfD bei der Konstituierung des Thüringer Landtags –, dass die Finanzierung der Arbeit der Gedenkstätte Buchenwald gefährdet ist, wenn die AfD ihre Blockadepolitik bei Beratungen und Beschlüssen über Haushalte des Freistaats Thüringen einsetzt. Ebenso werde die AfD versuchen, inhaltlich Einfluss auf die Arbeit der Gedenkstätten zu nehmen.

Auf eine besonderen Punkt wies die LAG hin: »Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die AfD in den Kommunen Einfluss nimmt, um Fahrten von Schulklassen in die Gedenkstätte Buchenwald zu verhindern.« Und sie fragt: »Was aber wird ein Lehrer machen, wenn er bedroht wird, weil er eine Fahrt nach Buchenwald plant oder einen Zeitzeugen in den Unterricht einlädt?« Auch Angriffe auf Beschäftigte der Gedenkstätten dürften zunehmen, wie ja von Gedenkstättendirektor Jens-Christian Wagner mehrfach benannt wurde. Auf ein weiteres Problem wies die LAG Buchenwald-Dora ebenfalls hin. Das Handeln gegen den sich europaweit verstärkenden Rechtsruck werde schwieriger, da auch ein Rückgang der Spendenbereitschaft für diese Arbeit zu erkennen sei.

Ort des Austauschs

Die LAG Ravensbrück/Freundeskreise e. V. betonte in ihrer Antwort die langjährige Erinnerungsarbeit, die mit dem Haus der LgRF in der Gedenkstätte einen wichtigen Ort des gemeinsamen Austauschs zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Situation besitze. »Gerade im Hinblick auf die aktuellen Wahlergebnisse werden die ehemaligen Orte des NS-Terrors umso wichtiger für die Entwicklung und Stärkung einer antifaschistischen und widerständigen Haltung, die sich eindeutig und klar gegen eine Normalisierung rechter Politiken und Inhalte positioniert.«

Die LAG befürchtet »einen zunehmenden Geschichtsrevisionismus und hieraus konkrete Finanzierungslücken für die Bewahrung und Erschließung des ehemaligen Lagergeländes inklusive der Außenlager«. Gleichzeitig wird auf Erfahrungen aus den vergangenen Jahren verwiesen: »Ein würdiges Gedenken wird durch die Beteiligung faschistischer Gruppen an Gedenkveranstaltungen zunehmend erschwert. So stört und bedroht die faschistische polnische Vereinigung NSZ (Narodowe Siły Zbrojne, deutsch: Nationale Streitkräfte, antifa) seit vielen Jahren die jährliche Befreiungsfeier in Ravensbrück massiv. Es ist nicht auszuschließen, dass auch die AfD und die Junge Alternative in naher Zukunft das Gedenken an die Ermordeten und Inhaftierten politisch missbrauchen werden. Dies schockiert uns zutiefst, und wir wollen dies unter allen Umständen verhindern.«

Auch die LAG sieht in der Kooperation mit der Zivilgesellschaft, nicht allein am Beispiel des Außenlagers Grüneberg und die Einbindung der dortigen Gemeinde in das Gedenken, ein wichtiges Widerstandspotenzial. »Wir arbeiten seit Jahren eng mit der Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e. V. zusammen. Darüber hinaus bedeutet es auch, Bündnisse einzugehen und sich solidarisch aufeinander zu beziehen, auch wenn nicht alle Positionen 100 Prozent geteilt werden. Durch die enge Einbindung (kommunaler) Zivilgesellschaft sowie örtlicher Kommunen und Vereine ist auch in Zeiten einer erstarkten Rechten weiterhin ein würdiges Gedenken an die Ermordeten und Überlebenden möglich.«

In einer gemeinsamen Stellungnahme aller staatlich verantworteten Gedenkorte in Brandenburg – Sachsenhausen, Ravensbrück, Below, Brandenburg an der Havel (Euthanasie-Morde und Zuchthaus Görden), in der Potsdamer Leistikowstraße und in Jamlitz – betonte deren Pressesprecher Horst Seferens, dass man sich mit kritischen Stellungnahmen zu AfD-Anträgen im Landtag oder mit einer Solidaritätserklärung mit der von extremen Rechten angefeindeten Gedenkstättenstiftung in Thüringen zu Wort gemeldet habe. Gemeinsam mit Partnern aus der Kultur und den Opferverbänden konnte die Stiftung 2019 mit dazu beitragen, dass ein AfD-Vorsitz im Kulturausschuss des Landtages verhindert wurde. Nach wie vor finden Gedenkveranstaltungen wie die Jahrestage der Befreiung eine große landespolitische Resonanz.

Geschichtsrevisionistischer Hebel

Eine unmittelbare Einflussnahme der AfD erwarte man nicht, aber es sei zu befürchten, dass AfD-Politiker »stärker als bisher geschichtspolitisch aktiv werden. Dies jedenfalls lässt ein Antrag der AfD-Bundestagsfraktion befürchten, der die sowjetischen Speziallager als geschichtsrevisionistischen Hebel zu nutzen versucht. Eine atmosphärische Klimaveränderung im Umfeld der Gedenkstätten ist angesichts des allgemeinen Erstarkens rechtsextremer Parteien und Bewegungen bereits jetzt deutlich spürbar.« Man richte sich darauf ein, dass das Klima sich weiter verschärfen wird und die Angriffe auf die Erinnerungskultur zunehmen werden.

Antworten auf diese Herausforderungen sehe man in gemeinsamen Projekten mit der Zivilgesellschaft, zum Beispiel die Beteiligung am regionalen Jugendgeschichtsprojekt »überLEBENSWEGE«, das von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten initiierte Projekt »Netzwerk Zeitgeschichte«, die Mitwirkung in lokalen Demokratiebündnissen oder beim CSD sowie die Aufnahme der Gedenkstätte Lieberose in Jamlitz in die Stiftung und deren Ausbau zu einem modernen Lernort mit festem Personal. »Es scheint geboten, neben dem historischen Lernen Gegenwartsbezüge stärker zu akzentuieren, damit der fundamentale Wert von Demokratie, Vielfalt und Menschenrechten für unser Zusammenleben deutlich wird.«

Auch Andreas Froese, der neue Leiter der Gedenkstätte Mittelbau-Dora, verwies auf die große Bedeutung des eigenen Gedenkortes. Man richte den Blick auch auf die erinnerungskulturelle Nachgeschichte im zeitlichen Wandel bis in die Gegenwart. Die Gedenkstätte arbeite eng mit Akteur:innen der schulischen und außerschulischen Bildung, mit Forschungseinrichtungen und mit der engagierten demokratischen Zivilgesellschaft zusammen. Wie schon in der oben genannten Gedenkstättenberatung erkennbar, beklagt Froese: »Der politische und gesellschaftliche Rechtsruck wurde bereits in den vergangenen Jahren immer deutlicher. Zum einen lässt er sich am Erstarken der AfD auf kommunaler und landespolitischer Ebene beobachten. Zum anderen auch darüber hinaus: Die vielfach beschworenen demokratischen Brandmauern sind inzwischen vor allem auf kommunaler Ebene vielerorts brüchig und durchlässig geworden. Das stimmt nicht nur uns Mitarbeitende der Gedenkstätte, sondern auch viele Mitglieder der engagierten demokratischen Zivilgesellschaft sehr sorgenvoll.«

Positiv hebt er jedoch hervor, »dass viele Menschen sich für Gedenkstätten interessieren, ihnen Vertrauen entgegenbringen, sich fundierte, wissenschaftlich fundierte Informationen erhoffen, um gegenwärtigen Entwicklungen mit einem kritischen Geschichtsbewusstsein begegnen zu können. Diesen Erwartungen begegnen wir sehr offen, zumal selbstverständlich auch wir uns als politische und gesellschaftliche Akteur:innen verstehen: parteipolitisch neutral, aber wertpolitisch keinesfalls neutral.«

Kritisches Geschichtsbewusstsein gefordert

In diesem Sinne sieht er auch Handlungsoptionen. Als Beispiel führt er aus: »Anfang des Jahres hatten wir auch in Nordhausen Versammlungen von mehreren Tausend Menschen, die sich öffentlich sichtbar für die Demokratie positionierten und gegen die millionenfachen Massenvertreibungspläne der rechtsextremistischen AfD richteten, die nach ihrem Potsdamer Geheimtreffen aufgedeckt wurden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die AfD in Thüringen nach Erkenntnissen zwar eine gesichert rechtsextremistische und kämpferisch-aggressive Gruppierung ist. Allerdings bleibt unbestritten, dass ihre Anhängerschaft weiterhin eine Minderheit darstellt. Die große Mehrheit der Bevölkerung wählte bei den Landtagswahlen in allen drei Bundesländern demokratisch. Insofern ist der Kreis derjenigen, die wir für ein kritisches Geschichtsbewusstsein erreichen und für unsere Demokratie begeistern können, weiterhin vorhanden: eine Chance, die die demokratischen Akteur:innen unbedingt nutzen und mit gemeinsamen Ideen, Projekten und Vernetzungsvorhaben ausfüllen sollten.«

Daher ist es eine Aufgabe nicht nur der Gedenkstätten, sondern der antifaschistischen Zivilgesellschaft, sich gemeinsam den Vorstößen der AfD und anderer Rechtskräfte gegen eine angemessene Gedenk- und Erinnerungskultur entgegenzustellen.

»Bauhaus« im Fokus der AfD

Die geschichtspolitische »Neuausrichtung« der AfD richtet sich gegen alle Bereiche progressiver Kultur. Den jüngsten Vorstoß unternahm die Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt am 24. Oktober. In Vorbereitung auf das 100-jährige Jubiläum des »Bauhauses« in Dessau fordert sie eine »kritische Auseinandersetzung« mit diesem »Irrweg der Moderne«, wie sie das Designkonzept des »Bauhauses« glaubt qualifizieren zu können.

Über das Kunst- und Designkonzept und seine Relevanz für heute zu debattieren, wäre ganz im Sinne des »Bauhauses«, aber die AfD verbindet mit ihrem Vorstoß etwas anderes. Man wolle »die Ideologie um das Bauhaus herum« kritisch beleuchten, heißt es in dem Antrag der Landtagsfraktion. Voll Empörung weist der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende, Hans-Thomas Tillschneider, promovierter Islamwissenschaftler, den Vorwurf zurück, man wolle wie die Nazis 1933 das »Bauhaus« verbieten. Ihm fällt scheinbar überhaupt nicht auf, dass die AfD-Position große Ähnlichkeit mit den Angriffen der reaktionär-völkischen Kreise in der Weimarer Republik hat, denen das »Bauhaus« als »entartet« galt und denen es gelungen war, die Kunst- und Architekturschule aus Weimar zu vertreiben. Auch in Dessau wurde das »Bauhaus« von der NSDAP und anderen völkischen Gruppen von Beginn an angefeindet, so dass es 1932 nach Berlin wechselte, wo die Kunstschule im Zuge der faschistischen Gleichschaltung endgültig aufgelöst wurde. Bauhausschüler wie Franz Ehrlich wurden später im KZ Buchenwald eingesperrt. Aber das habe die AfD natürlich nicht gemeint …