Wunsch nach Dokumentation

geschrieben von Bernd Hüttner

6. Juli 2025

Eine Schau im Berliner DHM hat die ersten Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa zum Thema

Die aktuelle Wechselausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) ist die erste Aktivität des mit Beschluss des Bundestages vom Oktober 2020 gegründeten und beim DHM angesiedelten Dokumentationszentrums »Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzung in Europa«. Sie hat sechs Ausstellungen in fünf Städten zum Thema, die nach Kriegsende 1945 bzw. in London bereits am 1. Mai die Besatzungs- und Vernichtungspraxis Nazideutschland darstellten1.

Diese frühe Form der Dokumentation und Bekanntmachung der NS-Verbrechen beruhte auch auf der Sammlung von Dokumenten bereits während der Besatzung. Nach Kriegsende wurden weitere Objekte gesammelt, systematisch Interviews mit Überlebenden, oft mit ausgearbeiteten Leitfäden, geführt. Die Ausstellungen sollten zum einen Leben, Leiden und Kampf von Juden darstellen, ebenso waren sie Zeugnisse des Kampfes der jeweiligen nationalen Widerstandsbewegungen. Dass diese beiden Aspekte nicht immer widerspruchsfrei sind, haben etliche Publikationen und Debatten der letzten Jahrzehnte gezeigt. So kritisierten etwa jüdische Überlebende, dass in der in Paris von Juni bis August 1945 gezeigten Ausstellung »Hitlerische Verbrechen« vor allem das Wirken und die Bekämpfung der Résistance dargestellt worden seien, das Schicksal der verschleppten und ermordeten Juden und Jüdinnen aber zu wenig vorkomme.

In Warschau gab es gleich zwei Ausstellungen: »Warschau klagt an« zeigte von Mai 1945 bis Januar 1946 im Nationalmuseum, einem der wenigen nicht zerstörten größeren Gebäude in Warschau, die Zerstörung der polnischen Kultur. Hier spielte jüdisches Leben kaum eine Rolle. In »Martyrium und Kampf« hingegen wurden die von der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission zusammengetragenen Dokumente und Quellen verwendet, um vor allem die Vernichtung der Jüdinnen und Juden und den Widerstand in den Ghettos und insbesondere im Warschauer Ghettoaufstand 1943 zu dokumentieren. Diese Ausstellung war von April 1948 an in dem Gebäude zu sehen, das früher die Hauptbibliothek für Judaistik des Instituts für jüdische Studien gewesen und aus dem dann 1947 das Jüdische Historische Institut entstanden war, das bis heute existiert.

Raphael Gross/Agata Pietrasik (Hg.): Gewalt ausstellen: Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945–1948. Ch. Links Verlag, Berlin 2025, 264 Seiten, 28 Euro

Raphael Gross/Agata Pietrasik (Hg.): Gewalt ausstellen: Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945–1948. Ch. Links Verlag, Berlin 2025, 264 Seiten, 28 Euro

Die Ausstellung in Bergen-Belsen (Juli bis November 1947) wurde vor allem von jüdischen DPs2 gestaltet und stand sehr im Zeichen des Wunsches nach Auswanderung nach Palästina.

Die Ausstellungen hatten eine große Resonanz, so wurde die in London von rund 700.000 Menschen besucht, die in Paris von etwa 487.000, »Warschau klagt an« von 400.000. Einige wurden später noch an anderen Orten, teilweise in veränderter Form, gezeigt.

Die Ausstellung im DHM und die Publikation zeigen eindrücklich, wie der Wunsch nach Dokumentation der Verbrechen, auch mit dem Ziel ihrer strafrechtlichen Verfolgung, ein Ziel der Mitwirkenden war. Ebenso ging es darum, die Deutung der eigenen Geschichte zurückzugewinnen. In der Publikation wird ferner deutlich, wie die historischen Ausstellungen in die nationalen Narrative zu Krieg, Besatzung und antifaschistischem Widerstand eingebunden waren, und welche Unterschiede es dabei schon vor dem Beginn des Kalten Krieges zwischen den verschiedenen Ländern gab. Eine wichtige und lesenswerte Publikation zu einem bisher wenig bekannten Thema, auch wenn der Titel etwas verwischt, von wem »die Gewalt« ausging.

Die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (Pei-Bau, Hinter dem Gießhaus 3, 10117 Berlin) ist noch bis 23. November 2025 zu sehen.

1 Dieses frühe Engagement ist kein Einzelfall. Zum Beispiel wurde das Museum auf dem Gelände des KZ Majdanek (bei Lublin) bereits im Spätherbst 1944 eröffnet.

2 »DP« ist die Abkürzung für Displaced Person. Gemeint sind diejenigen, die nach der Befreiung aus Kriegsgründen außerhalb ihres Heimatlandes wohnhaft waren und nicht ohne Unterstützung zurückkehren oder sich an einem anderen Ort ansiedeln konnten.