Zum 80. Hiroshima-Tag

geschrieben von Ulrich Sander

6. Juli 2025

Die Mahnung Günther Weisenborns und der Wissenschaftler

Eine Stadt voll zuckender Menschenreste
Aus der »Göttinger Kantate« (uraufgeführt 1959 in Westberlin)
Von Günther Weisenborn

 

Am 6. August 1945

stand auf Okinawa, gegenüber Japan,

ein Flugzeug startbereit.

Es befand sich an Bord des Flugzeugs

die erste Atombombe der Welt,

die auf lebende Menschen gezielt war.

 

Und dann flog der US-Bomber

durch den klarblauen Sommerhimmel

der Großstadt Hiroshima entgegen,

in deren Straßen wimmelndes Leben herrschte …

und als der Bomber nach wenigen Minuten davonflog,

dehnte sich eine verbrannte Wüste,

in der es von Menschenresten zuckte.

Es wurden aber an diesem Sommermorgen

über 100.000 Menschen vernichtet,

Weib und Kind und Mann,

davon an Kindern

etwa 15.000.

*

Am nächsten Tag

wurde die Großstadt Nagasaki ebenso ausradiert.

Bis heute wurden die Toten

insgesamt eine Viertelmillion gezählt,

direkte und indirekte Opfer dieser zwei Bomben.

*

Nun aber läuft eine bleiche Angst

durch die blühenden Provinzen der Welt,

und viele treue Söhne des Konformismus

erkennen, daß manches nicht stimmt

am gelieferten Vorstellungsschema:

Der sich christlich nennt, greift zur Bombe./ Der Sicherheit sagt, wählt die Katastrophe. / Der Freiheit sagt, lobt den Selbstmord. / Der Frieden sagt, rüstet zum Krieg.

*

Spricht man hierorts von Sicherheit, / dann ist die Rüstung nicht mehr weit. / Dann kommt, worauf ihr wetten könnt, / still ums Eck der Interessent. / Der Interessent kommt nicht allein, / es müssen viele Tausend sein. / Und jeder denkt in seinem Sinn: / Die Rüstung bringt Gewinn. / Laut sprechen sie von Sicherheit / und nur leise von Profit. / Die Aufrüstung schützt unser Volk, / schrein sie, wir schreien mit. / Und schreit ein Volk nach Sicherheit, / freut sich die Industrie. / Den Interessenten nützt sie stets, / dem Volk dagegen nie!

*

Eine Wolke zieht vorüber / wie ein großes Hirn so grau. / Bei einer Atombombenversuchsexplosion / zog sie oben leise davon, / und der Himmel war / wie einst in Japan so blau. / In der verlorenen Wolke jedoch, / da saß ein großer Tod, / der hat über die Welt / Strontium 90 gesät, / da war es für viele Kinder zu spät, / da war jeder von uns bedroht.

*

Und fällt der Regen auf Gras und Blatt, / trinkt manches Kind seine Abendmilch, / worauf es bald ein Leichenhemd anhat.

*

Das bedeutet: Der Tod / kommt nicht nur im Donner der Explosionen, / er kommt auch lautlos … und unsichtbar.

*

Nach Deutschland kommt von Zeit zu Zeit, / wenn’s wieder Trümmer gibt, der Lehrer Leid. / Und er schreibt an die Tafel, und die Kreide ist rot: / Wer Waffen bestellt, der bestellt den Tod. / Und er blickt jedem einzelnen ins Gesicht, / und er sagt: Ich heiße Leid, vergesst das nicht. / Wann lernt ihr denn endlich eure Lektion? / Doch da läutet die Glocke, und wir eilen davon / und bestellen Waffen … von Zeit zu Zeit, / und auf uns wartet der Lehrer Leid … / Doch soll das immer wieder so sein? / Wir haben’s gelernt, und wir sagen: Nein!

Aus dem Göttinger Manifest der 18 Wissenschaftler:

»Die taktischen Atombomben haben die Wirkung normaler Atombomben. Jede einzelne taktische Atomwaffe oder Granate hat eine ähnliche Wirkung wie die erste Atombombe, die Hiroshima zerstört hat …«

 

Im August jähren sich die US-Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zum 80. Mal. Dazu laufen in vielen Städten Vorbereitungen für Gedenkveranstaltungen. Siehe friedenskooperative.de

 

Im März 2002 veröffentlichte die Los Angeles Times Planungen der USA, die Schwelle für einen Einsatz von Atomwaffen gravierend zu senken, so auch »bei einer überraschenden militärischen Lage«. Mini-Nukes sollen als Gefechtsfeldwaffen zur Kriegsführung und als Erstschlagswaffen auch gegen Nichtatommächte genutzt werden.

Schon vor 70 Jahren verlangten CDU und CSU, Atomwaffen für die BRD, und Bundeskanzler Konrad Adenauer behauptete, es seien taktische Atomwaffen denkbar, ähnlich der Artillerie. Das wurde und wird von Atomwissenschaftlern bestritten. Bis heute gibt es jedoch immer wieder Berichte, dass es durchaus »Mini«-Nuklearbomben geben könnte. Diese, so die »Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs« (IPPNW), würden ein Gebiet von rund eineinhalb Kilometern um das Ziel so stark radioaktiv verseuchen, dass es auf Jahrtausende unbewohnbar wäre.

Auch der Hinweis auf das tiefe Eindringen der »Mini«-Atombomben in die Erde, das die Bombe weniger gefährlich machen soll, wird von IPPNW zurückgewiesen. Das verstrahlte Erdreich wird dabei in die Luft geschleudert und verteilt. Die Verharmlosungen durch Bundeskanzler Adenauer wurden seinerzeit durch die Wissenschaft zurückgewiesen. Dies geschah im Göttinger Manifest der 18 Atomwissenschaftler von 1957.

Deren Erkenntnisse wurden von Günther Weisenborn unterstützt. Der von den Nazis wegen seines Widerstands zum Tode verurteilte, jedoch überlebende Dichter war Freund von VVN und Friedensbewegung. Er übergab mir für den Ostermarsch 1962 und für die damalige Geschwister-Scholl-Jugend Hamburgs das nebenstehende Manuskript.