Ihr Credo: »Nie wieder!«

geschrieben von Hannelore Rabe

6. Juli 2025

In Rostock wurde auf dem Neuen Friedhof ein Gedenkort für die Verfolgten des Faschismus eingeweiht

Es war im Sommer 2001, als eine kleine Gruppe von Mitgliedern der Basisorganisation VVN-BdA Rostock auf dem Neuen Friedhof am Rande eines ausgetrockneten Teiches stand. Hier

befanden sich noch einige Grabstätten von Kameraden und Kameradinnen, die nach 1945 auf Rostocker Friedhöfen ihre letzte Ruhe gefunden hatten. Einige Gräber waren gepflegt und neu bepflanzt, einige wirkten vernachlässigt, bei einigen waren die Grabsteine überwuchert und die Schrift kaum noch zu erkennen. Der Zustand dieser kleinen Grabablage spiegelte den Zustand auch der zahlreichen Einzelgräber von Verfolgten des Naziregimes wider, das hatten die fünf Kameradinnen vermutet.

Hier am Rande des Teiches hatte man die Verstorbenen von 1959 bis 1967 beigesetzt, danach auf dem Neuen Friedhof einen »Ehrenhain für Sozialisten« errichtet, auf dem aber auch Rostocker Bürger beigesetzt wurden, die sich beim Aufbau des Sozialismus in der DDR verdient gemacht hatten. Nach 1990 verkam dieses Areal und wurde zum Schandfleck des Friedhofes. Im Auftrag des Vorstandes des VVN-BdA gründete sich 2001 eine Arbeitsgruppe, die sich zum Ziel setzte, das Andenken und die Würde der Verfolgten zu wahren, dafür zu sorgen, dass ihre Grabstätten gepflegt, gesichert und erhalten bleiben. Hinterbliebene und Angehörige werden dies aus Altersgründen bald nicht mehr leisten können.

Nachdem es nicht gelungen war, Geschichts- und Sozialkundelehrer mit ihren Klassen oder Jugendliche aus der linken Szene für entsprechende Projekte zu gewinnen, sah die Arbeitsgruppe die Bürgerschaft und die Stadtverwaltung in der Pflicht und stellte einen entsprechenden Antrag. Als notwendige Voraussetzung erarbeitete sie drei Broschüren, die im Rahmen eines Soziale-Bildung-Projektes und mit Förderung durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung entstanden. Eine Gruppe Jugendlicher forschte in Archiven zu den Biografien der Menschen, die politischer und rassistischer Verfolgung ausgesetzt waren oder Widerstand gegen das Naziregime geleistet hatten.

Im Ringen um die Erfüllung oben genannten Ziels gelang 2005 zumindest die Neugestaltung des 1941 durch die Nazis angelegten »Sonderfriedhofs für Fremdrassige« auf dem anfangs Juden, später Zwangsarbeiter, Häftlinge aus dem KZ-Außenlager Barth und Kriegsgefangene bestattet wurden. Das Relief wurde durch die VVN-BdA finanziert und diente der Würdigung aller Opfer und Verfolgten.

An dieser Gedenkstätte entzündete sich die Kritik aus der Öffentlichkeit und aus der Bürgerschaft etwa unter dem Motto: »Was wollt ihr denn, ihr habt doch eure Gedenkstätte, wozu noch eine?«

Ja, wie viele Denkmale – europa- und weltweit – erinnert auch unser Mahnmal an alle Opfer und Verfolgten des Naziregimes, doch der Einzelne bleibt anonym. Hinzu kommt, dass wir uns anscheinend daran gewöhnt haben, bei der Nennung der Opferzahlen, seien es Hunderte oder Tausende, gar nicht mehr zu erschrecken oder nachzudenken. Eine Null mehr oder weniger? Besteht die Gefahr, dabei das einmalige, unverwechselbare Schicksal eines einzelnen Menschen zu »übersehen«? Wir wollten den Verfolgten ihren Namen geben. Und noch eins ist uns wichtig: Mit dem Durchschreiten des Stacheldrahtes oder des Lagertores ins Freie war für die Verfolgten das Leben nicht zu Ende. Für sie begann ein Leben danach.

Ganz gleich, ob sie sich bewusst für den Widerstand gegen das Naziregime entschieden hatten, ob sie unbedacht im falschen Augenblick ihre Meinung, ihren Zweifel geäußert haben, verfolgte Juden versteckten oder sie selbst und ihre Familie aus rassischen Gründen verfolgt wurden, sie waren gezeichnet. Körperlich sichtbar, ausgehungert, geschwächt, innerlich verwundet mit einer zertrümmerten Seele, ohne Glauben, verzweifelt, gedemütigt, ihrer Würde beraubt, brutal bestraft für ihren Mut, für ihr Menschsein, ihr Anderssein. Dieses Leben danach war geprägt von Schuldgefühlen, überlebt zu haben, von Angst, Wut, Aggressivität, Zweifel an sich selbst, Mutlosigkeit. Bestimmt wurde ihr Neuanfang durch das gesellschaftliche und soziale Umfeld, in das sie kamen. Gingen sie ins Exil, oder wurden sie in die westlichen Zonen oder in die sowjetische Zone entlassen, oder wechselten sie diese, kamen sie als Zwangsarbeiter zurück nach Lettland, Ungarn, Russland oder in die Ukraine. Objektiv entschieden Ort, Zeitpunkt und Bedingungen, welche Chance sie haben werden. Hinzu kamen die subjektiven Faktoren. Viele der Betroffenen wollten nie wieder die deutsche Sprache sprechen, nie wieder nach Deutschland zurück. Andere versuchten, die Zeit der Verfolgung zu vergessen, sie sprachen selbst mit der Familie nicht darüber, sie verdrängten Monate, ja Jahre aus ihrem Leben. Viele aber entschieden sich, in ihrem Leben danach aktiv, gegen das Vergessen, gegen das Verfälschen, das Verharmlosen der Geschichte, für das Aufdecken der Ursachen und Zusammenhänge aufzutreten. Ihr Credo: »Nie wieder!« bestimmte den Sinn ihres Lebens, solange es ihnen möglich war.

Über diese Verfolgten wurde viel geschrieben und berichtet, oft wurden sie zu Helden ohne Fehl und Tadel gemacht. Heute ist man gerne bereit, sie deshalb moralisch abzuwerten, weil man auch hier Zeit, Ort und Bedingungen übersieht, als diese Berichte geschrieben wurden, und vergisst: Es waren Menschen, die den Mut und die Kraft hatten, zweimal zu kämpfen. Einmal gegen den deutschen Faschismus und jetzt, weil sie in ihrem Leben danach Verantwortung übernehmen mussten und wollten. Sie kämpften gegen die Not der Bevölkerung, gegen Mangel, Hunger, Schwarzmarkt und Sabotage, sie kämpften für ein Umdenken, für ein friedliches Nebeneinander der Völker, für einen Neuanfang. Dabei machten sie auch Fehler, aber wir haben diese Menschen in Rostock gebraucht. Sie haben auch in Rostock Spuren hinterlassen.

Weil wir nicht wollten, dass irgendwer, irgendwann diese Spuren verwischt, weil es zu unserem Vermächtnis gehört, folgenden Generationen Zugang zu unserer Geschichte zu gewähren, rang unsere Arbeitsgruppe 23 Jahre um diesen Gedenkort (siehe Spalte). Unverdrossen an unserer Seite: Leitende Mitarbeiterinnen des Friedhofes, verantwortungsvolle Mitglieder der Bürgerschaft, Mitarbeiter der Verwaltung der Stadt Rostock. Es gab viele Einwände und Gegenstimmen, erforderte Kompromisse auf beiden Seiten. Aufgenommen in die Liste der Verfolgten wurden die Namen der zur Zwangsarbeit Verschleppten. Die Arbeitsgruppe lehnte ein Relief auf der Gedenkstätte ab, das den Begriff »Nationalsozialismus« beinhaltet, weil sich die NS-Partei selbst so nannte und weil wir darin eine Beleidigung und Verhöhnung der Verfolgten sehen.

Feierliche Einweihung

2023 beschloss die Bürgerschaft die Übernahme und eine Neugestaltung der Gedenkstätte, die Ergänzung der Namen durch die Arbeit eines Historikers, die Gestaltung durch einen Landschaftsarchitekten, drei Stelen mit den Namen, die symbolische Übernahme alter Grabplatten und eine Skulptur. Am 21. Mai 2025 konnte die neue Gedenkstätte durch die Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger feierlich eingeweiht werden. Aber diese Gedenkstätte hat noch eine dritte Besonderheit: Sie ist die Grundlage für eine Fortschreibung, eine Aufforderung an die Rostocker Bürger, an Lehrer, Schüler und Studenten. Nach Wiedereröffnung des Greifswalder Archivs werden die Stelen mit den verbliebenen Namen der Verfolgten ergänzt, und eine Broschüre mit deren Lebensläufen wird erarbeitet. Informationstafeln komplettieren das derzeitige Areal, die auch der Präsentation von Projektarbeiten zum Themen der Verfolgung durch das Naziregimes und niveauvollen Veranstaltungen dienen.