Eine Kampagne wie aus dem Lehrbuch

geschrieben von Janka Kluge

6. September 2025

Die rechte Stimmungsmache gegen die BVerfG-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf

Die Wahl von Verfassungsrichter:innen ist eine komplexe Angelegenheit. Die im Bundestag vertretenen Parteien haben das Recht, Kandidat:innen vorzuschlagen. Der Richterwahlausschuss entscheidet in geheimer Wahl über die Besetzungen. Im Juni standen erneut Wahlen für das Bundesverfassungsgericht an.

Die von der SPD nominierte Frauke Brosius-Gersdorf sah sich kurz darauf einer regelrechten antifeministischen Schmutzkampagne ausgesetzt. Die Professorin an der Universität Potsdam arbeitete unter anderem in der von der Ampel eingesetzten »Kommission zu reproduktiver Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin« mit.

FAZ-Artikel als Auftakt einer Kampagne

Kritik erntete sie von konservativer und kirchlicher Seite vor allem für ihre Auffassung, vieles spreche dafür, die volle Menschenwürde erst mit der Geburt anzusetzen. Daraus wurde die Unterstellung konstruiert, sie befürworte Schwangerschaftsabbrüche bis zum neunten Monat. Den Auftakt der Kampagne markierte ein FAZ-Artikel zu ihrer Kandidatur (Online-ausgabe 30. Juni). Schon eine Woche zuvor war der Wikipedia-Eintrag zu ihrer Person verändert worden: Ekkehart Reimer, Rechtswissenschaftler in Heidelberg, ergänzte unter Klarnamen angebliche Posi-tionen von Brosius-Gersdorf zum Abtreibungsrecht. Später bezeichnete er sie in einer Stellungnahme als »Aktivistin«. Reimer ist Vorsitzender des Begabtenförderungswerks der Deutschen Bischofskonferenz.

Am 1. Juli veröffentlichte das rechtspopulistische Onlinemagazin Apollo News einen Beitrag mit der Überschrift: »BVerfG-Kandidatin: Impfpflicht, Grundgesetz gendern, AfD verbieten«. Kurz darauf teilte Julian Reichelt, Ex-Bild-Chefredakteur, den Artikel mit dem Kommentar: »Muss verhindert werden«. Seine Aussagen finden in rechten und konservativen Kreisen stets große Beachtung. Einen Tag später zog Reichelts eigenes Medium Nius nach – finanziert vom CDU-Mitglied und Milliardär Frank Gotthardt, der damit ein rechtskonservatives Medium über Parteigrenzen hinweg etablieren will.

Es folgten Berichte der extrem rechten Jungen Freiheit sowie des in Österreich ansässigen Portals AUF1, das besonders unter Querdenkern und christlichen Fundamentalisten verbreitet ist. Dort wurden vor allem ihre Ansichten zu Schwangerschaftsabbrüchen skandalisiert und sie als »Hardcore-Abtreibungsgegnerin« bezeichnet. Damit trat die Kampagne in eine neue Phase.

Eine Untersuchung des Thinktanks Polisphere stellte fest, dass ab diesem Zeitpunkt verstärkt in sozialen Netzwerken, darunter viele TikTok-Accounts, gegen Brosius-Gersdorf Stimmung gemacht wurde – vielfach durch Bots¹. Ihre Kandidatur wurde etwa als »sozialistischer Justizputsch in Deutschland« diffamiert. Im nächsten Schritt hieß es, sie sei eine »linksradikale Juristin«, die verhindert werden müsse. Auf der Kampagnenplattform CitizenGo startete eine Petition gegen ihre Wahl. Einen Tag vor der Abstimmung kamen noch Plagiatsvorwürfe gegen ihre Dissertation hinzu – befeuert auch von der CDU-Politikerin Saskia Ludwig (siehe Seite 6). Jeder dieser Schritte wurde von AfD-Funktionären mit massenhaften Beiträgen in sozialen Medien begleitet.

Richard Schwenn vom Thinktank Polisphere fasst in einem Bericht zusammen: »Neu und besonders ist die erfolgreiche Politisierung der Justiz, die wir bisher nur aus den USA kennen, und dass sich die Stimmungsmache gegen Brosius-Gersdorf in Teilen auch im Parlament und in der Entscheidung niederschlug.« Aufgrund der Kampagne wurde die Wahl im Bundestag verschoben.

Neben Portalen wie Nius und AUF1 spielten vor allem die sozialen Medien eine zentrale Rolle. Die ehemalige AfD-Abgeordnete Joana Cotar erklärte auf X nach der Absage der Wahl: »Wie wichtig X ist, sieht man am heutigen Tag! Ohne die Welle, die hier losgetreten wurde, die Informationen, die hier geteilt wurden, der Widerstand, der sich formiert hat, wären die Richterwahlen heute sang- und klanglos durchgegangen.«

Haltung zu AfD-Verbotsverfahren maßgeblich

Festzuhalten bleibt: Zum ersten Mal fand hierzulande eine koordinierte Desinformationskampagne statt, getragen von nahezu allen Strömungen des rechten Spektrums. Vordergründig stand Brosius-Gersdorfs angebliche Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen im Fokus – tatsächlich aber ging es darum, eine Richterin zu verhindern, die sich für ein AfD-Verbotsverfahren eingesetzt hatte.

Inzwischen hat Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur zurückgezogen und begründete das Anfang August mit Widerstand aus den Reihen von CDU/CSU gegen ihre Wahl. Aus den Fraktionsspitzen der Union war der SPD die Wahl von Brosius-Gersdorf zuvor zugesagt worden. Innerhalb der großen Koalition gab insbesondere der CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn ein katastrophales Bild ab. Er hatte die rechten Widersacher von Brosius-Gersdorf in der Unionsfraktion, die ihre Wahl nicht unterstützen wollten, nicht nur gewähren lassen, sondern ihnen am Ende sogar die Bühne bereitet.

¹ Mit Künstlicher Intelligenz (KI) erstellte Programme