Lückenhaft, aber notwendig

geschrieben von Brigitte und Gerhard Brändle

9. November 2025

Biographien von Deutschen in der Résistance

In der Veröffentlichung »Deutsche in der Résistance« befasst sich die Autorin Sophie Schiffer-decker mit einem bislang weitgehend verschwiegenen Bereich des Widerstands gegen den NS-Terror in Europa, nämlich mit der Beteiligung von Menschen aus Deutschland an der Résistance in Frankreich 1940 bis 1944.

Der Titel weckt hohe Erwartungen: Wer waren die Menschen, die es wagten, dem Rad der NS-Mordmaschine in die Speichen zu fallen? Wo kamen sie her? Wo fanden sie Unterschlupf in Frankreich? Aus welchen Motiven entschlossen sie sich, Sand ins Getriebe der Nazibesatzung zu werfen? Mit wem arbeiteten sie zusammen? Mit welchen Methoden kämpften sie? Konnten sie Erfolge erzielen und/oder Leben retten? Erhalten sie endlich Namen, Gesicht und Geschichte?

Die Autorin geht in ihrer Untersuchung von einer »Mindestanzahl« von 2.303 Deutschen in der Résistance aus – entgegen bisherigen Schätzungen von ca. 3.000 zum Beispiel bei Wikipedia. Sie vermerkt jedoch, »dass die Dunkelziffer hoch ist und deutlich mehr als 2.303 Deutsche in der Résistance aktiv waren« (S. 42). Ihre Hauptquellen sind die Akten des französischen Verteidigungsministeriums »Service Historique de la Défense« (SHD). Dort sind 2.331 Personen aus Deutschland genannt, doch nur 1.662 (70 Prozent) von ihnen haben eine staatliche Anerkennung erhalten, da Aktive in der zivilen Résistance zum Teil nur dann berücksichtigt sind, wenn sie verhaftet, deportiert, verletzt oder ermordet wurden (S. 41). Ohne Begründung übernimmt die Autorin diese fragwürdigen Bewertungen (S. 42), statt zu untersuchen, was die Nicht-Anerkannten tatsächlich gemacht haben: Etliche junge jüdische Frauen, die im zivilen Widerstand in Lyon oder bei der Rettung jüdischer Kinder aktiv waren, fehlen in den SHD-Akten. Zu den so unangemessen »ermittelten« 1.662 rechnet die Autorin noch weitere 692 Résistance-Aktive aus anderen Quellen, deren Identität jedoch ebenfalls nicht dokumentiert ist.

Sophie Schifferdecker: Deutsche in der Résistance. Lukas-Verlag, Berlin 2025, 464 Seiten, 39,80 Euro.

Sophie Schifferdecker: Deutsche in der Résistance. Lukas-Verlag, Berlin 2025, 464 Seiten, 39,80 Euro.

Die Vorsicht bezüglich der Dunkelziffer ist geboten: Für das Saarland zitiert die Autorin die Angabe von Klaus-Michael Mallmann mit 214 Personen (S. 31), bei ihrer Auswertung sind für das Saarland unerklärlicherweise nur 133 Personen genannt (S. 75). Für Baden-Württemberg sind 51 Personen genannt (S. 75), obwohl in den SHD-Akten 143 Widerständige, darunter 86 »Anerkannte« aufgeführt sind. Aufgrund der fehlenden Biographien sind die Aussagen in der »Kollektivbiographie« fragwürdig, weil eben nicht nachvollziehbar.

Für eine Veröffentlichung mit wissenschaftlichem Anspruch ist das Fehlen eines Namensverzeichnisses samt Quellenangaben und eines Ortsverzeichnisses ungewöhnlich. Wer etwas über Résistance-Aktive aus der eigenen Gemeinde oder Region erfahren möchte, sucht vergebens.

Die vorgestellte »Kollektivbiographie« aus 868 Einzelbiographien sagt nichts über die realen Menschen aus, die oft ihr Leben gegen die NS-Besatzer ihres Exillandes wagten, sie bleiben fast alle anonym, ohne Gesicht und Geschichte. Zudem sind die 868 Einzelbiographien keinesfalls korrekt und vollständig ausgewertet, sondern aus »forschungspragmatischen Gründen« wurde nur »jede sechste Akte gewählt und in die Kollektivbiographie integriert« (S. 47) – deren Erkenntniswert noch weiter schwindet.

Der genauere Blick auf die wenigen namentlich Genannten zeigt weitere Leerstellen in der Veröffentlichung: Ausgeblendet sind Merkmale wie »jüdisch« und/oder »kommunistisch«, daran ändern auch die summarischen Angaben bezüglich dieser Merkmale in der »Kollektivbiographie« nichts.

In dem Abschnitt »Nach Kriegsende« werden die Wohnsitze der Überlebenden aufgeführt, ausgespart bleiben jedoch ihre Tätigkeiten nach der Befreiung 1944/45, die Orientierung für heute geben könnten, sei es in Gewerkschaften, politischen Parteien, in Gemeinderäten, Landtagen und im Bundestag, in der VVN und gegen die Gefahr von rechts: Margot Wicki-Schwarzschild, als Neunjährige mit ihrer Schwester und den Eltern am 22. Oktober 1940 aus Kaiserslautern in das Lager Gurs verschleppt und von der zivilen Résistance in Frankreich gerettet, sagte 2014 zu aktuellen Herausforderungen: »Was können wir heute tun? Hinschauen statt wegschauen. Eintreten gegen Ausländerfeindlichkeit, gegen Rassismus, Faschismus und Neonazis!«

Würden die 2.303 verwendeten Biographien veröffentlicht – zum Beispiel auf der Homepage des Verlags, könnten LeserInnen selbst Antworten auf die eingangs aufgeworfenen Fragen finden. Zudem könnten diese Biographien ein Baustein zu einer noch ausstehenden Gesamtdarstellung beitragen, die den Titel »Deutsche in der Résistance« verdient.

 Im Kern ist diese Arbeit eine Fortsetzung der von Ahlrich Meyer (»Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940–1944«) 2000 kritisierten Ignoranz von Politik und »Wissenschaft« gegenüber den Menschen aus Deutschland, die als Teil des europäischen Widerstands gegen den NS in Frankreich aktiv wurden: Name, Gesicht, Geschichte …