Im Kontext ihrer Zeit

9. November 2025

Gespräch mit Loretta Walz, die seit den 1970ern Widerstandskämpferinnen befragt

antifa: Wie bist du zu den Interviews mit den Widerstandskämpferinnen und ehemaligen Häftlingen von Ravensbrück gekommen?

Loretta Waltz: Ich bin keine Historikerin, sondern Filmemacherin und wollte die Geschichte von Frauen im Widerstand und im KZ dokumentarisch erzählen. Die meisten Frauen, die ich interviewt habe, wurden vorher nie zu ihrer Geschichte während der NS-Zeit befragt. Widerstand war damals, Ende der 70er-Jahre, die Geschichte von Männern, und Konzentrationslager: Das waren die Männerlager wie zum Beispiel Buchenwald und Sachsenhausen.

Bis weit in die 80er sind Frauen nicht gefragt worden, und viele Frauen waren es auch nicht gewohnt, über sich selbst zu sprechen. Mein Ausgangspunkt war zunächst der Widerstand von Frauen gegen das NS-Regime, dann deren Verfolgung und Haft in den Frauen-KZ Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück. Der Beginn war eine Bekanntschaft mit einer ehemaligen Ravensbrückerin, die mich bei einem Treffen der Lagergemeinschaft Ravensbrück in Stuttgart ihren Kameradinnen vorgestellt hat. Nach anfänglichen Bedenken waren viele zu einem Interview bereit. Ich gehörte zur ersten Generation, die mit Video gearbeitet hat. Diese Technik hat es ermöglicht, lange Sequenzen, und damit auch lange Interviews, bezahlbar aufzuzeichnen. In den Interviews spiegelt sich daher auch die Technikentwicklung wider. Heute macht jedes Handy bessere Aufnahmen, aber damals, vor mehr als 40 Jahren, war es sehr aufwändig. Auch aus technischer Perspektive ist es historisches Material.

antifa: Wie war die Struktur deiner Interviews?

L. W.: Von Anfang an war es mir sehr wichtig, dass sich die Interviews nicht auf die Lagerzeit beschränken, sondern auch beinhalten, wo die Frauen herkamen, was ihr Hintergrund war, wie es nach der Befreiung für sie weiterging, wie sie mit den Erfahrungen gelebt haben. Das war nicht immer einfach, denn für die alten Kämpferinnen hat das Private oft keine Rolle gespielt. Sie waren natürlich stark geprägt von ihrer Zeit. Und waren bestimmt durch die Gegenwart. So waren sie oft nicht bereit, über bestimmte Dinge zu sprechen. Eine meiner Interviewpartnerinnen erzählte beim Kaffeetrinken, dass sie im Widerstand bewaffnet war. Auf die Frage, warum sie nicht im Interview darüber spricht, hat sie geantwortet: Ich bekomme eine Rente von 24 DM als Verfolgte des NS-Regimes. Wenn das bekannt wird, bin ich nicht mehr Verfolgte, sondern Kriminelle, und die Verfolgtenrente wird mir gestrichen. Auch darum wurde über viele Details aus dem Widerstand geschwiegen.

antifa: Wie hast du diese Arbeit finanziert?

Loretta Walz, 1955 in Stuttgart geboren, ist Filmemacherin und hat von 1981 bis 2010 mehr als 200 Videointerviews mit Widerstandskämpferinnen und Überlebenden von Konzentrationslagern, darunter auch einigen Männern, geführt. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Widerstand von Frauen und der Vielfältigkeit der Erfahrungen in Ravensbrück. Sie ist Mitglied der Lagergemeinschaft Ravensbrück seit 1981.

Loretta Walz, 1955 in Stuttgart geboren, ist Filmemacherin und hat von 1981 bis 2010 mehr als 200 Videointerviews mit Widerstandskämpferinnen und Überlebenden von Konzentrationslagern, darunter auch einigen Männern, geführt. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Widerstand von Frauen und der Vielfältigkeit der Erfahrungen in Ravensbrück. Sie ist Mitglied der Lagergemeinschaft Ravensbrück seit 1981.

L. W.: Das war immer schwierig, ich habe ständig Anträge geschrieben. Unter Regine Hildebrandt, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen in Brandenburg, gab es in den 90ern immer wieder Gelder für Projekte zu Ravensbrück. Zum Beispiel gab es für den Einführungsfilm »Erinnern an Ravensbrück« 1995 Geld aus dem Ministerium. Die Arbeit am Film hat viele Interviews in ganz Europa ermöglicht. Ende der 90er gab es Kontakte zu Stiftungen, mit deren Unterstützung die Interviews mit den Osteuropäerinnen aufgezeichnet werden konnten.

antifa: Was umfasst dein Archiv, das du der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück übergeben hast?

L. W.: Im Wesentlichen die Interviews, das Rohmaterial, die Übersetzungen und Transkriptionen. Auch Aufnahmen von Tagungen der Lagergemeinschaft und Veranstaltungen in der Gedenkstätte, die wir mit der Kamera begleitet haben. Dazu auch Dreharbeiten an vielen Orten rund um das frühere Lager, die wir oft auch mit den früheren Häftlingen besucht haben.

Das Archiv ist nicht verschlagwortet, aber zu 95 Prozent transkribiert. Bereits seit 2009 gibt es ein Onlinearchiv, videoarchiv-ravensbrueck.de, in dem 100 Interviews einsehbar sind und in dem man nach vielfältigen Kriterien suchen kann.

antifa: Was wünschst du dir für dein Archiv?

L. W.: Mein Wunsch ist, dass es einen verantwortungsvollen Umgang mit den Interviews gibt, dass die Entstehungsbedingungen berücksichtigt werden: Wie alt waren die Frauen, als sie in Ravensbrück waren? Was waren dort die Verhältnisse, wie alt waren sie, als ich sie interviewt habe? Unter welchen Bedingungen lebten sie zu dem Zeitpunkt? Man muss die Erinnerungen der Überlebenden und auch die Interviews immer in ihrer Zeit sehen.

Das Archiv gehört in die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Das war auch das Vermächtnis der Frauen, die ich interviewt habe. Schön wäre es, wenn es dort eine Art Medienraum geben könnte, in dem interessierte Menschen die Interviews sehen und damit arbeiten können. Die Erinnerungen der Frauen von Ravensbrück sollen nicht in Vergessenheit geraten.

Videoarchiv: »Die Frauen von Ravensbrück«. videoarchiv-ravensbrueck.de

Das Interview führte Franziska Bruder.