Geschichtsvergessen

geschrieben von Claudia Bähr, Heidrun Dittrich

5. September 2013

Opfergräber von Sinti und Roma bleiben weiter ungeschützt

Jan.-Feb. 2012

Zoni Weisz, niederländischer Sinto und Holocaustüberlebender, sprach im Januar 2011 zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus vor den Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Er schilderte eindrucksvoll seine Erlebnisse während des Faschismus. Seine Familie wurde in den KZs ermordet und mit ihr rund 500.000 andere Sinti und Roma. Erst am 17. März 1982 rang sich der damalige Bundespräsident Carstens durch, das Leid und den Völkermord an den Sinti und Roma offiziell anzuerkennen. Bis dahin wurden Sinti und Roma nahtlos weiter diskriminiert und verfolgt. Das LKA Baden Württemberg brachte 1948 einen »Leitfaden zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens« heraus. Im Jahre 1956 bestätigte der BGH, dass die Deportation der Sinti und Roma keine Verfolgung aus rassistischen Gründen, sondern eine »kriminalpräventive Maßnahme« war. Die Worte von Zoni Weisz‘ Rede sind heute noch nachzulesen, doch die meisten Abgeordneten des hohen Hauses haben sie längst wieder vergessen.

Das erklärt wahrscheinlich auch, warum die Bundesregierung trotz der nun angestoßenen Diskussion über den Schutz von Opfergräbern der Sinti und Roma, keinen Handlungsbedarf sieht. Dabei ist dies kein neues Thema für die Abgeordneten: Seit 2009 bittet der Zentralrat der Sinti und Roma die Politik um Hilfe für die Opfergräber, deren Ruhezeit abgelaufen ist und die deshalb eingeebnet werden sollen. Romani Rose wandte sich im gleichen Jahr an die Bundeskanzlerin. Doch nichts geschah. Erst Jahre später bekam das Thema endlich wieder mehr Aufmerksamkeit. Im Zuge der dritten Änderung des »Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« (kurz Gräbergesetz) wurde dem Familienausschuss eine Petition vorgelegt, die den Erhalt mehrerer Gräber einer Sinti- Familie fordert. In dieser Petition wird um den Schutz der Gräber nach dem Gräbergesetz gebeten, da diese sonst eingeebnet werden.

Daraufhin fand am 2. Dezember 2011 ein Fachgespräch zu diesem Thema im Bundestag statt. Als Experten waren vor allem Mitarbeiterinnen aus dem Verwaltungsapparat geladen, so Barbara Meißner vom Deutschen Städtetag. Auf Drängen der Fraktion Die Linke. und Bündnis 90/Die Grünen wurde auch Cornelia Kerth, Vorsitzende der VVN BdA, angehört.

Die Stellungnahme von Frau Meißner vom Deutschen Städtetag enttäuschte, denn sie sprach sich hier gegen den Schutz der Sinti- und Romagräber aus. Dabei hatte ihre Institution zuvor in einem Brief für einen Schutz der Gräber geworben. Die gerade beschlossene Änderung des Gräbergesetzes stelle bereits eine hohe Belastung für die Kommunen dar. Weitere Einbußen für die Kommunen lehnte sie ab. Auch die anderen Experten aus der Verwaltung betonten, dass sie auf die Gebühren für die Sinti-Gräber nicht verzichten könnten.

Cornelia Kerth betonte in ihrem Beitrag, wie wichtig eine Regelung für die Gräber sei. Immerhin leben Sinti und Roma bereits seit mehr als 600 Jahren in Deutschland und wurden in dieser Zeit immer wieder Opfer von Pogromen. Besonders im 19. und 20 Jahrhundert entstand im Zuge des Fortschritts in den Naturwissenschaften eine neue Form des Antiziganismus: der Rassenantiziganismus. Seitdem erhöhte sich der Druck auf Sinti und Roma. Seit 1886 führte man Deportationen durch, um Sinti und Roma außer Landes zu schaffen. Auch noch heute werde Sinti und Roma aus Deutschland ausgewiesen und in ihre »Heimatländer« zurückgeschickt. Dort, zum Beispiel in Ungarn, sind sie weiterhin Verfolgung ausgesetzt.

Aus diesen Umständen wird deutlich, dass Sinti und Roma in Deutschland eine verfolgte nationale Minderheit sind, die eines besonderen Schutzes bedarf. Daher schlug Cornelia Kerth vor, eine Regelung auf Grundlage von Artikel 5 des Gesetzes zu dem Rahmenübereinkommen des Europarats vom 1. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten zu finden. Ihr Vorschlag blieb weitgehend unbeachtet.

Mit dem Ende des Gespräches war das Thema für die CDU/CSU- und FDP-Fraktion erledigt. Die Kommunen wollen nicht auf die Gelder verzichten und die Bundesregierung weigert sich, die Mehrkosten aus Bundesmitteln gegenzufinanzieren. Das Problem bleibt also weiter ungelöst, wie der am 15.12.2011 in der FAZ erschiene Aufruf an die Ministerpräsidenten und Regierungschefs zum Erhalt der Gräber bestätigt. Mitunterzeichnet wurde er unter anderem von Frau Gisela Piltz, stellvertretende Vorsitzende der FDP. Leider nur ein Lippenbekenntnis, denn die FDP zeichnete sich im Bundestag durch Untätigkeit in dieser Frage aus. Eine Lösung für die Sinti und Roma-Gräber ist also in nächster Zeit nicht zu erwarten. Wegen kleinlicher Kompetenzstreitereien zwischen Bund und Kommunen werden ungeschützte Gräber verloren gehen. Damit verlieren nicht nur die Sinti und Roma ein Stück ihrer Geschichte, sondern auch die Bundesrepublik Deutschland.