Erinnerung an Ruth Rewald
5. September 2013
Autorin eines Kinderbuches über den Spanischen Bürgerkrieg
Sept.-Okt. 2006
Ruth Rewald:
„Vier spanische Jungen“, Röderberg, Frankfurt 1987, 191 Seiten
Am 17. Juli 1942 – exakt sechs Jahre nach dem Beginn des Spanischen Bürgerkriegs und annähernd drei Jahre nach seiner Beendigung – kommt es in Frankreich, in der „Zone d’occupation allemande“ zur berüchtigten Großrazzia „Rafle du Vel‘ d‘ Hiv“. Auslöser der Aktion war die Forderung, nunmehr konzentriert die „Endlösung der Judenfrage“ auch in Frankreich durchzusetzen.
Unter den verhafteten jüdischen Frauen ist auch die 1933 zur Emigration nach Frankreich gezwungene deutsch-jüdische Kinder- und Jugendbuchautorin Ruth Rewald. Sie wird von der Gestapo in dem Dorf Les Rosiers-sur-Loire festgenommen, wohin sie im Sommer 1940 mit ihrer kleinen Tochter aus Paris vor den einmarschierenden deutschen Truppen geflohen war. Am 29. November 1940 hatten sie den Ort erreicht und sich dort niedergelassen.
Ihr gesamtes schriftliches Hab und Gut wird beschlagnahmt. Es gelingt Ruth Rewald vor ihrem Abtransport in das Konzentrationslager Auschwitz noch eine Karte an ihren Mann, Hans Schaul, zu schreiben, der in einem französischen Lager in Djelfa in der algerischen Sahara interniert ist. Die Karte trägt den Poststempel: Angers / Maine-et-Loire, 18. VII. 1942. Sie ist das letzte Lebenszeichen von Ruth Rewald.
Am 16. April 1945 beginnt die Rote Armee mit dem Angriff auf Berlin. Als am 2. Mai 1945 der letzte Widerstand gebrochen ist, fallen den Soldaten mit dem Roten Stern in den Kellern des Reichssicherheitshauptamtes große Mengen Akten und Schriftstücke in die Hände. Dabei stoßen sie auch auf einen Karton mit der Aufschrift: „Beschlagnahmung Ruth Gustave Schaul, geb. Rewald, 5.6.06 / Berlin, Referendarin / Deutsch.R.“ Darin enthalten sind zahlreiche Briefe, persönliche Dokumente, Fotos, Notizen, Manuskripte ihrer schriftstellerischen Tätigkeit – all das, was der Gestapo bei ihrer Verhaftung in die Hände gefallen und nach Berlin gebracht worden war. Der Vorgang hat einen hohen symbolischen Wert. Die Nazis, die dieses Leben auslöschen und vergessen machen wollten, haben durch ihr Handeln dazu beigetragen, dass dieser Plan nicht aufgegangen ist, denn der in dem Karton enthaltene Nachlass wird zunächst in die Sowjetunion gebracht und im Jahr 1957 den zuständigen Stellen in der DDR übergeben. Seitdem wird er im Zentralen Staatsarchiv Potsdam (heute Bundesarchiv) archiviert und trägt die Signatur: „90 Re 1, Nachl. R. Rewald-Schaul 1932 – 1939“.
Dort wurde er durch einen Zufall entdeckt. Selbst ihr Mann, Hans Schaul, der Dank der Hilfe der Sowjetunion gerettet werden konnte und später viele Jahre Chefredakteur der theoretischen Zeitschrift der SED war, wusste zunächst nichts davon. Dieser Fund und weitere umfangreiche Forschungen und Nachforschungen ermöglichten eine fast lückenlose Rekonstruktion des Lebens und literarischen Werkes von Ruth Rewald, das die Faschisten ausradieren wollten.
Das wohl wichtigste Manuskript dieser Zeit blieb fast 50 Jahre unveröffentlicht. Das Kinderbuch „Vier spanische Jungen“, mit dem die Autorin nach ihren eigenen Worten vor allem die internationale Solidarität mit den spanischen Kindern anspornen und selbst einen Beitrag dazu leisten wollte. In den Monaten November / Dezember 1937 und Januar / Februar 1938 lebte und arbeitete sie dafür in Spanien im Kinderheim „Ernst Thälmann“, das von der XI. Internationalen Brigade eingerichtet und unterhalten wurde. Nach Paris zurückgekehrt begann sie unverzüglich mit der Niederschrift des Buches. Sie beendete die Arbeiten am 30. September 1938.
Die zentrale Idee im Werk Ruth Rewalds ist der Humanismus. So wurde es zu einem humanistischen Protest und zu einer Alternative zu der auf Rassenhass, Unmenschlichkeit, Völkerfeindschaft und Kriegsbereitschaft zielenden Kinder- und Jugendliteratur im faschistischen Dritten Reich.
Ruth Rewald ist nur 36 Jahre alt geworden. So ist ihr Werk relativ klein geblieben. Vieles macht den zeitbedingten Eindruck des Unfertigen. Die Zeit, in die sie hineingeboren wurde, waren ihrer Entwicklung und Reife nicht günstig. Dennoch, aus dem, was sie geschrieben und wie sie es geschrieben hat, werden wir Nachgeborenen die Verpflichtung ableiten müssen, der deutsch-jüdischen Kinder- und Jugendbuchautorin Ruth Rewald den Platz einzuräumen, der ihr und ihrem Werk gebührt.