Absurditäten des VS
27. Januar 2014
Inhalte sind »unerheblich« und vieles bleibt geheim
Silvia Gingold, engagierte Antifaschistin, hat beim Verwaltungsgericht beantragt, den hessischen Verfassungsschutz zu verpflichten, vollinhaltlich darüber Auskunft zu geben, welche Daten über sie gespeichert wurden und diese sodann vollständig zu löschen. Silvia Gingold besteht darauf, dass der VS kein Recht hat, Daten über sie zu speichern. Als Erwiderung beantragte das hessische Landesamt für Verfassungsschutz, die Klage abzuweisen. Die seitenlange Begründung dafür hat es in sich.
Nach dem Hinweis, dass es gesetzlicher Auftrag sei, »Bestrebungen zu beobachten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind«, folgt die Erklärung, »im Falle der Klägerin« lägen »tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass sie linksextremistische Bestrebungen verfolgt«. Darüber gebe es »sowohl offene als auch geheimhaltungsbedürftige Erkenntnisse«. Über alles, was »geheimhaltungsbedürftig« sei, dürfe jedoch keine Auskunft gegeben werden.
Laut Verfassungsschutz wurde 2009 »eine Personenakte zur Klägerin« »neu angelegt«, weil »Aktivitäten der Klägerin innerhalb einer linksextremistischen Gruppierung, die beim LfV Hessen Beobachtungsobjekt ist«, bekannt geworden seien. Um was es sich dabei handelt, unterliege wiederum der Geheimhaltung. Damit bleibt es nicht nachprüfbar und auch nicht widerlegbar.
Nach diesen Zumutungen erscheint fünf Seiten weiter endlich ein scheinbar konkreter Sachverhalt: Gingold sei »Rednerin bei der Demonstration am 28. Januar 2012« gewesen. Diese sei »von dogmatischen (Partei DIE LINKE) und undogmatischen linksextremistischen Gruppierungen (autonome antifa f) durchgeführt« worden. Was Silvia Gingold als Rednerin gesagt hat, sei »unerheblich«. Erheblich ist vielmehr, dass sich »unter den Veranstaltern« »auch solche« befunden hätten, die »ein kommunistisch orientiertes Antifaschismusverständnis vertreten«. Allein dadurch, dass Gingold als Rednerin auftrat, habe sie »dieses Antifaschismusverständnis gebilligt und zu seiner Verbreitung beigetragen«.
Schließlich wendet der VS sich der VVN zu. Diese sei »ursprünglich« eine »Vorfeldorganisation« der DKP gewesen, habe sich aber »wesentlich verändert«. Deshalb werde sie heute als »linksextremistisch beeinflusst« bewertet. Die »linksextremistischen Teile der VVN-BdA« seien »durch zwei Punkte charakterisierbar«: Erstens durch »Vertretung eines kommunistisch orientierten Antifaschismusverständnisses« , zweitens durch »Zusammenarbeit mit Linksextremisten anderer Organisationen« – was abzielt auf ein Kontaktverbot bei Aktivitäten gegen Neonazis, denn vor allem dort geht es um eine Zusammenarbeit aller Nazigegner.
Was der VS unter »kommunistischem Antifaschismusverständnis« versteht, wird folgendermaßen erklärt: Dieses »Antifaschismusverständnis« gehe »auf die sog. ‚Dimitroff-These‘ zurück«, die vom VS höchst sonderbar dargestellt wird: Danach werde nämlich »die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland als faschistisch betrachtet«.
Einen Beleg dafür können die Verfasser natürlich nicht anführen. Stattdessen zitieren sie aus einer Veröffentlichung einer früheren VVN-Landessprecherin: »Der Faschismus diente dem deutschen Kapital in erster Linie dazu, den Aufstieg zur Weltmacht mit militärischer Aggression durchzusetzen«; ein Satz, der aus einem Urteil der Nürnberger Prozesse gegen Wehrwirtschaftsführer stammen könnte. Davon, dass die Bundesrepublik »faschistisch« sei, steht natürlich nichts in dem Zitat. Genau so wenig wie in dem Zitat aus einem Referat Kurt Pätzolds, und erst recht nicht in einer Äußerung des VVN-Vorsitzenden Heinrich Fink, der laut VS in einem Interview erklärt habe: »Ich trete für den Sozialismus ein, ja. Die VVN ist jedoch eine strömungsübergreifende Organisation von Antifaschisten«. Der VS behauptet dennoch, dies sei ein weiteres »Beispiel für die immer noch vertretenen kommunistischen Weltanschauungen in der VVN-BdA«.
Im letzten Drittel des VS-Papiers wird Silvia Gingold vorgehalten, dass sie von einer »Kontinuität zwischen nationalsozialistischem Staat und der Bundesrepublik Deutschland« spreche. Als Beleg wird u.a. aus einer Rede Gingolds zitiert: Es seien »die höchsten Stellen der Verwaltung, der Wirtschaft, in den Medien, in der Justiz« mit Kräften besetzt worden, »die schon den Nazis gedient und den faschistischen Terror mitgetragen hatten«.
Das alles entspreche dem »kommunistisch orientierten Antifaschismusverständnis«. Alle Historiker und Publizisten, die immer wieder auf die braune Vergangenheit von Führungskräften in Ministerien, Konzernen und Medien, in BKA, BND und VS hinweisen, bedienen nach dieser Interpretation ebenfalls ein »kommunistisch orientiertes Antifaschismusverständnis« .
Deutlicher lässt sich die Absurdität der Argumentation des Verfassungsschutzes nicht aufzeigen. Verhängnisvoll bleibt jedoch, dass sie keine bloße Meinungsäußerung ist, sondern erhebliche Folgen für alle Betroffenen und die ganze Gesellschaft hat.