Brüssel, sie wollen dich
24. März 2014
Ohne 3%-Hürde: Gefahr neonazistischer Einbrüche in das Europaparlament
Karlsruhe hat gesprochen. Die 3%-Hürde zu den Europawahlen wurde gekippt, wie es so salopp heißt. Das verdeutlicht einerseits das grundsätzliche Vertrauen, das die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts in die wachsende europäische Demokratie besitzen. Andererseits öffnen sie jedoch mit ihrer Entscheidung sehr umstrittenen Geistern Tür und Tor. Geister, um derentwillen Prozenthürden bei Wahlen nach 1945 bislang als politischer common sense galten.
Sie wollen den ehemaligen NPD-Vorsitzenden und Spitzenkandidaten seiner Partei, Udo Voigt, nicht im Europäischen Parlament gegen angebliche Überfremdung, Ausländerschwemme und Durchrassung schwadronieren hören? Voraussichtlich werden Ihnen seine neofaschistischen Tiraden nun nicht erspart bleiben. Sie wollen keine Reps, keine NPD und auch keine AfD, die im Chor der europäischen Rechten ihre Lieder im Brüsseler und Strasbourger Parlament krakeelen? Dem werden Sie sich jetzt wohl stellen müssen.
Sie und die demokratischen Parteien. Soweit deren gesellschaftspolitische Analyse überhaupt bereit ist, eine Gefahr von rechts anzuerkennen. Was also sagen CDU/CSU, SPD, Grüne, Die Linke, und FDP zu den »Volksmusikanten«?
Betrachten wir die bereits vorliegenden Europawahlprogramme, bzw. Europawahlprogrammentwürfe: Der vom Parteivorstand der CDU vorgelegte Entwurf meidet das Thema Neofaschismus in Europa konsequent. Das überrascht nicht wirklich. Die bayerische Schwesterpartei wird ihr Programm erst nach den Kommunalwahlen in Bayern verabschieden. Kaum zu erwarten, dass darin ein anderer Grundtenor erklingen wird.
Da entsenden diese Parteien wahrscheinlich die stärkste Delegation nach Brüssel und Strasbourg und ignorieren sträflich, dass es auch ihre politische Aufgabe wäre, den Neofaschismus in die Schranken zu weisen-wenn schon die Wahlschranken geöffnet werden.
Die FDP will das Übel auch nicht so recht an der Wurzel packen, sondern richtet ein allgemeines Lamento gegen »die Populisten«, die die europäische Einigung bedrohen. Nichts Konkretes, liberal irgendwie.
Die Sozialdemokratie hingegen bekannte sich in Person ihres Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, Thomas Oppermann, sofort nach Bekanntwerden des Urteils des Bundesverfassungsgerichts am 26. Februar zu der Verantwortung, sich politisch mit den Rechten auseinandersetzen zu müssen, um diese aus dem Europäischen Parlament herauszuhalten. Bravo! Ein Blick ins Europawahlprogramm bestätigt die sozialdemokratische Sensibilität. Die SPD fordert ein »europäisches Aktionsprogramm gegen den Rechtsextremismus zum Schutz der Demokratie.« Ähnliche, wenn auch weitreichendere und konkretere Forderungen, erhebt Die Linke in ihrem Wahlprogramm. Hier wird neben der Stärkung bestehender Programme der Aufbau einer »europäischen Präventionsarchitektur« gegen den aufkommenden Neofaschismus und Rassismus gefordert. Die Grünen schließlich wollen dem erstarkenden Rechtsextremismus in der EU mit Aufklärung und der Stärkung der Zivilgesellschaft begegnen.
Fazit
Ein Wahrnehmungsriss geht durch die deutsche Parteienlandschaft. Das konservativ-liberale Lager sieht sich nicht bemüßigt, sich in ihren Europawahlprogrammen zur neofaschistischen Gefahr, die das gesamte europäische Projekt und die ihm zugrunde liegende Idee eines gemeinsamen friedlichen und auf sozialen Ausgleich ausgerichteten Europas attackiert, zu äußern. Bald jedoch, muss man jedenfalls annehmen, werden sich ihre Vertreterinnen und Vertreter mit wildgewordenen Neonazis zu plagen haben, deren erklärte Absicht darin besteht, über den Umweg des EP doch möglichst bald auch den Bundestag zu erobern. Das Mitte-Links-Lager erkennt die Gefahr und arbeitet an politischen Gegenmaßnahmen. Derzeit jedoch noch getrennt voneinander und damit geschwächt. Doch eine gemeinsame Grundlage ist vorhanden. Und damit die Hoffnung, den Faschisten in Deutschland und in Europa doch noch den Vormarsch zu verwehren.