Wer putschte in der Ukraine?

geschrieben von Tobias Baumann

20. Mai 2014

Der Einzug von Faschisten in die ukrainische Regierung war gewollt

 

Wie Gabriele Krone-Schmalz im Interview von NDR / ZAPP am 16.04.2014 hervorhob, ist die Berichterstattung der herrschenden deutschen Medien zu den Themen Ukraine und Krim nicht sachlich. Während bei den Montenegrinern eine Sezession als pro-europäisch und somit als wünschenswerter Akt der Selbstbestimmung dargestellt wurde, wird den Menschen auf der Krim das Recht auf Selbstbestimmung und damit ein fundamentales Völkerrecht durch die Leitmedien der BRD versagt. Russland ist durch die EU weithin als Aggressor präsentiert worden. Andererseits zögerte die EU-Chefdiplomatin Lady Ashton nicht, auf einer Fotografie nebst liberaler und neofaschistischer Fraktion der ukrainischen Putschisten, der sogenannten »Goebbels-Connexion« zu posieren.

Antifa-Solikundgebung am 14.3. in Detmold. Foto: Nikolaos Gütersloh

Antifa-Solikundgebung am 14.3. in Detmold.               Foto: Nikolaos Gütersloh

Geschichtsbewusste Antifaschisten wissen, was es bedeutet, wenn auch nur ein Teil einer Regierung aus Faschisten besteht, ähnlich wie die deutsche Exekutive von 1933. Die Maidan-Milizen, die sich aus Liberalen und Pro-EU-Kämpfern, aber auch Faschisten zusammensetzen, haben heute ähnlich wie in Libyen Zugang zur Macht erhalten – und geben ihn gewiss nicht freiwillig wieder auf, nur weil eine Regierung von dem ad hoc zusammengerufenen Parlament eingesetzt wurde (zudem nicht einmal mit der in der ukrainischen Verfassung festgeschriebenen Mindestanzahl an Stimmen). Einen Beleg für die Kräfteverhältnisse in Kiew nach der national-liberal-völkischen ukrainischen Revolte bot die folgende Szene: »Wer will mir mein Maschinengewehr abnehmen?«, fragte der Rechte-Sektor-Führer Muzychko in eine Runde von Parlamentariern von Janukowitschs Partei der Regionen in Rovno. Das verängstigte Schweigen der Abgeordneten gab die unmissverständliche Antwort: Niemand! Wer sollte auch eine Entwaffnung anweisen, wenn der neue »revolutionäre« Generalstaatsanwalt zur rechtsextremen Swoboda-Partei gehört, die genau unter dem Verdacht steht, Waffen verteilt zu haben?

Im historischen Rückblick zeigen sich derzeit einige unerwartete Kontinuitäten. In Galizien, dem Gebiet um Lemberg (bis 1919 österreichisch, bis 1939 polnisch), in dem die faschistische Partei Swoboda bei Abstimmungen bis zu 30% der Stimmen erhält, wurde die Kommunistische Partei der Ukraine bereits in vielen Kommunen »verboten«. Am 28.1.2014 warnte Präsident Putin den EU-Kommissionspräsidenten vor den unierten bzw. sog. griechisch-katholischen ukrainischen Priestern (zur katholischen Hierarchie überführte Gemeinden orthodoxen Ritus‹, die von Rom zentral regiert werden), die predigten, dass in der Ukraine weder »Neger noch Juden oder Russen« herrschen dürften. Die Mehrzahl der Protestierenden begrüßte die täglichen christlichen Messen auf dem Maidan, ein Mittel, um mit der katholischen sowie unierten Minderheit eine religiöse ukrainische Identität als neues nationales Surrogat zu generieren und so eine kulturelle Differenz zum russisch-orthodoxen Moskau hochzustilisieren.

Zumindest eine Teilverantwortung für den Putsch in Kiew tragen die Konrad-Adenauer-Stiftung (die seit 2010 Vitali Klitschkos Partei finanzierte), und die USA, die schon seit Reagan mit Bandera-Faschisten in der Ukraine in Verbindung stehen. Darüber hinaus gibt es keinen Zweifel, dass der Putsch von den USA gesponsert wurde, wie das geleakte Telefongespräch zwischen der Vize-Außenministerin Victoria Nuland und US-Botschafter Geoffrey R. Pyatt belegt.

Berlin, Paris und Warschau haben den Coup d‹État in den entscheidenden Tagen der letzten Phase Mitte bis Ende Februar vor dem Umsturz diplomatisch begleitet und den Übergang Kiews aus einem engen Moskau-Bündnis in ein West-Bündnis außenpolitisch abgesichert. Doch der Machtwechsel in Kiew war nicht legal. Die Übereinkunft vom 21. Februar, in die die Außenminister der BRD, Frankreichs und Polens hineingestolpert zu sein vorgaben, ist ein chef d’oeuvre der neuen konzertierten Diplomatie eines entstehenden deutsch-europäischen Reichs.

Was geschah am 21. Februar 2014 tatsächlich? Als europäischer Unterhändler unterschreibt Radoslaw Sikorski am Abend des 21. Februar eine Vereinbarung über die Beilegung der Krise mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Am darauffolgenden Morgen aber übernehmen Männer, die er heimlich in Polen ausgebildet hat, die Macht. wie die polnische linke Wochenzeitung »Nie« (»Nein«) belegte.

Und es gibt eine Motivation, die über Zentraleuropa und die USA hinaus auch andere NATO-Staaten motiviert haben mag, sich dem Abenteuer diplomatisch anzuschließen: Gegenwärtig verschärft sich der »Erdölbeutezug«, da die Erdölvorkommen in der Nordsee, zunächst die der Niederlande und Großbritanniens (heute erstmals Nettoölimporteur!) und später Norwegens, in absehbarer Zeit versiegen werden: So wie Venezuela für die USA wird Russland für die EU und andere europäische Verbündete damit zu einer neuen primären Zielscheibe.