Der lange Weg zum Mahnort

geschrieben von Ernst Antoni

8. Juli 2014

KZ Dachau: Endlich angemessenes Erinnern an ermordete Sowjetsoldaten

 

Es ist ein weiträumiges Gelände, dieser ehemalige »SS-Schießplatz Hebertshausen«. Hier einen Mahnort zu gestalten, der nicht allein dem Gedenken gewidmet ist, sondern auch konkretes Wissen über die Verbrechen vermitteln will, an die erinnert werden soll, war kein einfaches Unterfangen.

Das anschaulichste bauliche Relikt ist ein großer Kugelfang aus Beton. Vor diesem mussten sich in den Jahren 1941/42 über 4000 sowjetische Kriegsgefangene an einer Holzwand in Fünferreihen aufstellen und wurden dann in stundenlangen Massakern erschossen. Sie waren von Wehrmacht und Gestapo aus Kriegsgefangenenlagern »ausgesondert« und zu Masssenerschießungen an diesen nahe beim Konzentrationslager Dachau gelegenen Ort verfrachtet worden. Der völkerrechtswidrige »Kommissarbefehl«, der die »Aussonderung« von Kommunisten, »Intelligenzlern« und »aller Juden« bei sowjetischen Kriegsgefangenen festschrieb, lieferte den Freibrief zur Liquidierung von über 40.000 Menschen, unter ihnen die Opfer von Dachau-Hebertshausen.

Fünf Bahnen münden in die Massenmordstätte. Links das Mahnmal von 1964. Fotos: Parvin Ghahraman

Fünf Bahnen münden in die Massenmordstätte. Links das Mahnmal von 1964. Fotos: Parvin Ghahraman

Auf den Erschießungsplatz mit dem Kugelfang bewegen sich nun fünf Bahnen in einem Feld von vierzig auf sechs Metern zu. Lange Bahnen, im vorderen Teil der Anlage mit Sockeln und Glasplatten, auf denen Namen stehen. Rund tausend Namen von Ermordeten sind es, die bisher von der KZ-Gedenkstätte Dachau und wissenschaftlichen Helferinnen und Helfern ermittelt werden konnten. Es wird weitergeforscht. »Die gläsernen Namenstafeln«, so Dr. Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, »sollen sowohl auf die große Zahl der namentlich bekannten Opfer hinweisen als auch, wenn sie leer dort stehen, auf unser Problem: Wir werden nicht alles dokumentieren können. Mir scheinen aber auch diese offensichtlichen Leerstellen für die Vermittlung des Geschehenen sehr eindrucksvoll.«

Wer die Anlage betritt, sieht die Bahnen, die am noch weit entfernten Tatort münden, kann sich aber zuvor nach rechts wenden und sich an Bild-Text-Tafeln (in russischer, deutscher und englischer Sprache) über historische und politische Hintergründe des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion, die Opfer die dieser gefordert hat und den »Kommissarbefehl« und seine Folgen informieren. Einige Tafeln enthalten Biographien Ermordeter, die inzwischen über Kontakte mit Angehörigen ermittelt werden konnten. Und auch die Nachkriegsgeschichte dieses lange vernachlässigten Ortes wird dokumentiert.

Seitlich vor dem Kugelfang steht das ursprüngliche Mahnmal, ein 1964 errichteter großer Gedenkstein, der manche Wanderschaft auf dem die meiste Zeit verwahrlosten Gelände hinter sich hat. Dessen Inschrift ist nicht übermäßig konkret: »Tausende Kriegsgefangene wurden hier von der SS ermordet.« Will Elfes (1924 – 1971), ein antifaschistisch engagierter Bildhauer, der für die Lagergemeinschaft Dachau damals das Mahnmal gestaltet hat, hätte wohl gerne Präziseres in Stein gemeißelt. Doch die Verhältnisse, sie waren nicht so. »Nach Kriegsende«, so Gabriele Hammermann, »wurde die Erinnerung an diese Opfer im antikommunistischen Konsens des Kalten Krieges verdrängt.« Daher auch damals die »Selbstzensur« der Organisation der bundesdeutschen Dachau-Überlebenden, deren aktive Mitglieder zum großen Teil aus dem Widerstand der Arbeiterbewegung kamen, viele von ihnen Kommunisten. Wichtig war es ihnen, den Ort überhaupt erst einmal vor dem Vergessen zu bewahren.

Tafel mit Opfer-Biographie

Tafel mit Opfer-Biographie

Nach der Einweihung des Steins im Mai 1964 – es sprachen Pastor Martin Niemöller und ein Kriegsveteran aus der UdSSR – ließen die zuständigen Behörden schnell wieder im wahrsten Sinne des Wortes Gras über alles wachsen. Der Stein wurde hin und her verschoben und lange der öffentlichen Sicht entzogen. Erst ab 1985, mit dem 40. Jahrestag der Befreiung, begann sich allmählich etwas zu ändern. Aus der damaligen Friedensbewegung heraus entstand eine »Initiative Jahrestag der Befreiung«, ein Bündnis von über 20 Gruppierungen unterschiedlicher Weltanschauung, das im Anschluss an die jährliche Kundgebung des Comité International de Dachau in der KZ-Gedenkstätte Dachau mit einem »Friedensweg« zum SS-Schießplatz und einer oft internationalen besetzten Feierstunde der dort Ermordeten bis heute gedenkt.

Anfang der 90er-Jahre kam das Engagement des Fördervereins für Internationale Jugendbegegnung in Dachau und verschiedener örtlicher Initiativen dazu. KZ-Überlebende aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wurden zu den Befreiungsfeiern eingeladen und betreut, mit einer Veranstaltung jedes Jahr im Juni wird am Schießplatz an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion erinnert

1998 wurde das Gelände offiziell der KZ-Gedenkstätte Dachau zugeordnet; erstmals gab es Informationstafeln und landschaftsgestalterische Maßnahmen. Dennoch sollte es noch einmal 15 Jahre dauern, bis endlich aus Bundes- und Landesmitteln angemessene Beträge zur Verfügung gestellt wurden, die es nun der KZ-Gedenkstätte möglich machten, diesen informativen Mahn- und Gedenkort zu gestalten.