Nicht nur für Jugendliche

geschrieben von Janka Kluge

11. September 2014

Erinnerungen und Dokumente zum Thema Jugend im Faschismus

 

Der Jugendbuchverlag Arena hat in seiner ambitionierten Reihe »Bibliothek des Wissens« ein Buch über den Alltag von Jugendlichen im Dritten Reich vorgelegt. Die Autorin Anja Tuckermann hatte sich zuvor bereits in verschiedenen Romanen und Biographien mit dem Schicksal jugendlicher Sinti beschäftigt.

Um verständlich zu machen, was in den Jahren zwischen 1933 und 1945 geschehen ist, beginnt sie das Buch 1914 mit einem Auszug aus dem Tagebuch der zwölfjährigen Piete. Das Mädchen wächst mit ihrem Bruder bei ihren Großeltern in Schneidemühl, einer Grenzstadt zu Polen, auf. Auf Wunsch ihrer Mutter, die in Berlin lebt und arbeitet, führt sie ein Tagebuch. Als sie nach einem Jahr mit dem Schreiben aufhören will, sagt ein Freund zu ihr: »Sie müssen weiterschreiben. Zeugen müssen sein. Wenn ein neuer Krieg kommt, wird man diesen ganz vergessen.«

Dieser Satz, geschrieben von der inzwischen Dreizehnjährigen, steht wie ein Motto über dem Buch. Anja Tuckermann hat Briefe, Tagebücher, aber auch Dokumente aus der Hitlerjugend gesammelt und zu einem sehr lesenswerten Buch verarbeitet. Die zwölf Jahre Herrschaft des deutschen Faschismus werden am Beispiel verschiedener Jugendlicher und junger Menschen dargestellt. Die Autorin beschränkt sich aber nicht nur auf die Schilderung in Deutschland, sie bezieht auch Verfolgung und Widerstand in den besetzten Ländern ein.

Anja Tuckermann, »Ein Volk, ein Reich ein Trümmerhaufen«, Arena Verlag, Würzburg, 2013, 10,99 Euro

Anja Tuckermann, »Ein Volk, ein Reich ein Trümmerhaufen«, Arena Verlag, Würzburg, 2013, 10,99 Euro

Gleich zu Beginn wird aus den Tagebuchaufzeichnungen von Lili Hahn zitiert. Im Februar 1933 schrieb die achtzehnjährige Journalistin für eine Zeitung in Frankfurt eine Kritik über ein Klavierkonzert. Einer der beiden Pianisten war Jude. Der Chefredakteur rief sie zu sich und sagte ihr, »sie hätte schreiben müssen, dass der und der Arier es besser gekonnt hätte.« Sie weigerte sich ihren Text zu ändern und durfte danach nicht mehr für diese Zeitung schreiben. Eine andere Jugendliche, die gleich am Anfang des Buches eingeführt wird, ist Sophie Scholl. Sie macht zuerst begeistert in der Hitlerjugend mit und gründet dann zusammen mit ihrem Bruder und anderen Studenten aus München »Die weiße Rose«. Durch ihre Flugblätter wollten sie aufrütteln und zeigen, dass es auch ein anderes Deutschland gibt.

Einen ähnlichen Weg geht eine Gruppe Jugendlicher in Köln. Um das erst fünfzehnjährige Mädchen Gertrud Koch sammeln sich verschiedene andere Jugendliche. In dem Buch werden Auszüge aus ihrer Erinnerung zitiert. »Wir wollten frei sein. Frei wandern und singen können, unsere Kleidung und unser Aussehen selbst bestimmen – alles Wünsche, die unter dem nationalsozialistischen Regime undenkbar waren.« Die Gruppe nennt sich nach dem Edelweiß, jener Blume, die auch unter Schnee und Eis noch wächst und blüht. Schnell schließen sich andere Gruppen von Jugendlichen mit den Kölnern zusammen. Als sie einen Drucker kennenlernen, beschließen die Edelweißpiraten, Flugblätter zu schreiben und verteilen. Sie schaffen es, fast jede Woche ein neues Flugblatt herauszubringen. »Wir hatten die Hoffnung, dass einige Menschen unsere Flugblätter aufheben und heimlich weitergeben würden. Wahrscheinlich war das eine naive Hoffnung. Aber eigentlich stellten wir unsere Aktionen nie in Frage. Es gab kein Zurück, kein stilles Dulden des Naziregimes. Wir mussten einfach handeln.« Trotz einiger Verhaftungen machen die Jugendgruppen weiter. Einige nehmen Kontakt zu Widerstandsgruppen von Erwachsenen auf und schließen sich ihnen an. Andere verstecken geflohene Zwangsarbeiter und Deserteure oder verstecken Waffen, damit sie kämpfen können, wenn es zu einem Aufstand gegen die Nazis kommt.

In den letzten beiden Kriegsjahren gehen die Nazis dazu über, auch ältere Männer und Jugendliche ab 16 Jahren zu rekrutieren. Damit die Rüstungsproduktion weiter aufrecht gehalten werden kann, werden immer mehr Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt. Anja Tuckermann zitiert aus den Erinnerungen des jungen Kommunisten Fritz Bringmann, der mit anderen Häftlingen in Osnabrück eingesetzt war. Sie mussten Trümmer von den Bombardierungen wegräumen. »Ein Häftling wurde vor den Augen der Bevölkerung von einem SS-Kommandoführer derart misshandelt, dass er bewusstlos zusammenbrach. Doch der SS-Mann misshandelte ihn erneut. Da bahnte sich eine Frau den Weg durch die Menschenansammlung, ging auf den SS-Mann zu, stellte sich zwischen ihn und den Häftling und protestierte lautstark gegen diese Unmenschlichkeit.«

Der Text wird ergänzt durch ein Glossar, in dem die wichtigsten Begriffe und Namen erklärt werden und eine Zeitliste, auf der man sich über die Entwicklung des Faschismus kurz und schnell informieren kann.

Jedes Mal, wenn ich das Buch wieder in die Hand genommen habe, um für diese Rezension etwas nachzuschlagen, habe ich mich erneut festgelesen. Ein besseres Lob kann ich nicht vergeben. Ich wünsche dem Buch viele Leserinnen und Leser – und nicht nur jugendliche.