Von Beihilfe kaum die Rede
4. Januar 2015
1060 Ermittlungsverfahren gegen Auschwitz-Schergen – fast alle eingestellt
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hat, wie »Spiegel Online« am 24. August 2014 berichtete, 1060 Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Angehörige des Wachpersonals des faschistischen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau geführt. »… und stellte fast alle ein.« Eine der zynischen Begründungen« habe gelautet: »Die ankommenden Opfer hätten nicht gewusst, was ihnen bevorstehe, und folglich nicht fliehen wollen. Der beschuldigte SS-Wachmann habe sie daher an einer Flucht gar nicht hindern können – und sei deshalb nicht wegen Beihilfe zu belangen.«
In den drei großen Auschwitzprozessen ( 1963 – 1965, 1965 –1966, 1967 – 1968) gegen die Mitglieder der SS-Wachmannschaft waren die, einem Verteidigungsplädoyer nahe kommenden, »Argumente« der Anklagevertretung noch anderer Art. In einem Interview zum Film »Im Labyrinth des Schweigens« erinnerte Gerhard Wiese, der damals als junger Staatsanwalt an den durch die energischen Bemühungen des hessischen Generalstaatsanwalts Bauer möglich gewordenen Verfahren beteiligt war, an die Kernanliegen der Anklage. Wir meinten, »dass Auschwitz eine Vernichtungsmaschinerie war, in der jeder ein Rad im Getriebe war und deshalb mindestens wegen Beihilfe hätte verurteilt werden müssen.«
Wer also in den Mordapparat eingebunden war, der mordete mit. Am Ende aber sah das Ergebnis so aus, dass von den rund 6500 Angehörigen der SS-Mannschaft, die den Krieg überlebt hatten, ganze 29 verurteilt wurden. Die anderen konnten im Chor einstimmen in die Schlagzeile der »Nürnberger Nachrichten nach dem ersten Auschwitzprozess: »Wir sind in diesem Fall noch einmal davongekommen«.
Das Hamburger Wochenblatt »Die Zeit« erinnerte am 13. November 2014 an das Klima jener Jahre. Bauer sei, einer der »wenigen unbelasteten Justizjuristen mit einer Führungsposition« in der jungen Bundesrepublik gewesen, umgeben »von Richtern, Staatsanwälten und sonstigen Beamten, die dem NS-Staat gedient hatten und bis auf wenige Ausnahmen im Amt belassen wurden.« Die hätten sich, »wie die Mehrheit der Bevölkerung, nach einem Schlussstrich unter die Vergangenheit« gesehnt.
Den hatte der erste Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer (CDU), schon 1949 gefordert, als er für ein »Ende der Nazischnüffelei« plädierte und durch, von seiner Regierung verkündete diverse Amnestiegesetze, der Rückkehr der Protagonisten des faschistischen Regimes in alle gesellschaftliche Bereiche der jungen Bundesrepublík den Weg bereitete Fritz Bauer hat sich da mit seinem Drang zur Aufklärung der Verbrechen in Auschwitz, nicht viele Freunde gemacht. »Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland«, brachte er einmal den Zeitgeist auf den Punkt.
40 Jahre fast konnten die Schergen ihr Leben in Ruhe fristen – sieht man von einigen wenigen und immer wieder an der gängigen Rechtsprechung gescheiterten Versuchen ab, den einen oder anderen doch noch zur Verantwortung zu ziehen. Der eine war »nur Koch« gewesen, der andere hatte sich »nur an der Rampe rumgetrieben«. Individuelle Schuld hatte keiner. Die aber wollte der Bundesgerichtshof nachgewiesen haben. Der Kerngedanke Fritz Bauers bei der Eröffnung des Auschwitzprozesses: »Beihilfe begeht, wer die Haupttat willentlich fördert«, wurde 2011 im Verfahren gegen John Demjanuk, SS-Wachmann in den Konzentrationslagern Treblinka und Sobibor, Urteilsgrundlage. Ein letzter Versuch, mit diesem Urteil doch noch Angehörige der Wachmannschaft vor Gericht stellen zu können, ist offensichtlich gescheitert. Allenfalls zwei Verfahren könne es nach Ansicht von Experten noch geben. Damit ist die »Aufarbeitung« der Akte Auschwitz dann wohl endgültig abgeschlossen – biologisch.