Was bleibt?
1. März 2015
Gedanken zu einer Ausstellung. Von Regina Girod
Eine riesige Menge neugieriger Besucher drängte sich am 23. Januar zur Eröffnung der Fotoausstellung » Lore Krüger Ein Koffer voller Bilder, Fotografien von 1934 bis 1944« in der renommierten Fotogalerie c/o in Berlin. RBB und Deutschlandfunk hatten am Tage mehrfach auf das Ereignis hingewiesen und den ganzen Abend umringten Fotografen und Reporter die Kuratoren –angesichts einer Präsentation von rund einhundert 70 bis 80 Jahre alten Schwarz-Weiß-Fotografien ein ungewöhnlich großes Medieninteresse. Am Wochenende informierte dann sogar die Tagesschau über die Fotoausstellung der »Deutsch-Jüdin« Lore Krüger. Im Vorfeld des 70. Jahrestages der Befreiung von Au-schwitz existierte ein öffentliches Interesse an dieser Ausstellung, um die zwei engagierte Frauen zuvor sechs Jahre kämpfen mussten.
Lore Krüger, 1914 als Lore Heinemann in Magdeburg geboren, entstammte einem bürgerlichen Elternhaus mit jüdischen Wurzeln. Gleich nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, verließ sie Deutschland. London, Palma de Mallorca und Barcelona waren die ersten Stationen ihres Exils.1935 ging sie nach Paris und setzte ihre in Barcelona begonnene Ausbildung zur Fotografin bei der Bauhauskünstlerin Florence Henri fort. Lore Krügers Fotos sind seltene Zeitzeugnisse. Sie dokumentieren die Entwicklung einer jungen Frau, der noch alle Wege offen standen, von der politisch engagierten Fotografin bis hin zur Avantgardekünstlerin. Doch die Faschisten zerstörten nicht nur diese Hoffnung. Mit ihrer Flucht in Richtung USA konnte Lore Krüger gerade noch ihr Leben retten.
Eigentlich waren Irja Krätke und Cornelia Bästlein mit Lore Krüger im Gespräch gewesen, die Fotografien aus der Zeit ihrer Emigration zu ihrem 95. Geburtstag zu präsentieren. Doch dann starb Lore und beide fanden lange keine Unterstützer für das Projekt. Umso erfreulicher, dass Lore Krügers Werk nun eine Würdigung erfährt, die sie wohl selbst so nicht erwartet hätte. Denn sie hat ihre Fotos aus Frankreich, Spanien und den USA auf den gefährlichen und ungewissen Wegen ihrer Flucht zwar immer mitgenommen und dann jahrzehntelang in einem Koffer aufbewahrt, doch für historisch oder künstlerisch bedeutsam hielt sie sie nicht. Das mag auch daran liegen, dass Lore Krüger nach ihrer Rückkehr aus den USA in die Sowjetische Besatzungszone aus Krankheitsgründen eine neue Arbeit finden musste, die ihren Kräften und Möglichkeiten entsprach. Sie entdeckte ihre Berufung als Übersetzerin und übertrug fortan Werke von Autoren wie Doris Lessing, Daniel Defoe und Mark Twain für den Aufbauverlag. Und so kannten wir sie dann: als deutsche Stimme von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Als literarische Übersetzerin war Lore Krüger anerkannt. Dass sie in jungen Jahren auch »entartete Kunst mit den Mitteln der Fotografie« geschaffen hatte, hat sie durchaus mit Stolz erzählt. Doch wichtig war es nicht mehr für sie.
Nun sind ihre Fotos öffentlich geworden. Ganz unterschiedliche Aufnahmen, entstanden in den Jahren 1934 bis 1946, werden in der Ausstellung gezeigt. Alles Originale, deren Negative nicht erhalten sind, offensichtlich nur ein schmaler Ausschnitt aus einem Werk, das einmal größer war. Es scheint, als habe Lore von allem etwas retten wollen, was sie als Fotografin versucht und festgehalten hat. So finden sich Stillleben im Stil des Bauhauses und experimentelle Fotogramme aus der Pariser Zeit neben Porträts und Alltagsszenen aus verschiedenen Ländern und Zeiten. Wer Lore Krügers Erinnerungen kennt, weiß, dass sie stolz auf ihre Reportage »Gitanes« war, die 1936 als Auftragsarbeit für eine Agentur aus den USA entstand. Auch für mich sind diese 16 Fotos etwas ganz Besonderes, die eindrucksvollsten Bilder ihrer Schau. Sie zeigen Szenen und Porträts aus dem Wallfahrtsort Saintes-Maries-de la Mer, wo sich im Sommer Sinti und Roma aus ganz Europa trafen und treffen. Lore ist diesen Menschen nahe gekommen. So schöne, lebensvolle Bilder entstehen nur, wenn sich Fotografin und Porträtierte vertrauen. Und natürlich spiegeln sie nicht nur das Leben vor der Kamera, sondern auch die Haltung der Künstlerin dahinter wider. Offenheit und eine große Menschenliebe hat Lore in diese Arbeit eingebracht. Da war sie 22 Jahre alt.
In Paris hat Lore noch eine andere Lebensprägung erfahren. Hier wurde sie Kommunistin. Viele deutsche Emigranten, Intellektuelle, Künstler und Politiker, die vor den Nazis flüchten mussten, lebten in den 30er Jahren in Paris. Im Kontakt mit ihnen fand Lore zum Marxismus und gemeinsam mit französischen und deutschen Kommunisten endlich auch die Möglichkeit, etwas gegen den Faschismus tun. Danach hatte sie gesucht. Unter den neuen Kampfgefährten traf sie auch ihren Mann, den kommunistischen Spanienkämpfer Ernst Krüger. Und dieses Wissen über Lores Leben macht die Ausstellung ihrer frühen Fotos für mich zu Teilen problematisch. Wer den Katalog nicht kennt, verlässt sie in der Überzeugung, das Werk einer bisher unbekannten jüdischen Bauhausfotografin kennengelernt zu haben. Eine »Neuentdeckung«, die nicht nur eine Würdigung enthält, sondern auch eine Abwertung. Eine Abwertung all dessen, was tatsächlich wichtig war in Lores Leben, nämlich Antifaschistin, Internationalistin und Kommunistin zu sein. Das gehörte für sie zusammen und das ist sie immer geblieben
Dafür hat sie ihr Möglichstes getan. Wenn nötig, war sie Hilfskraft, Redakteurin und Übersetzerin in einem, wie bei der Emigrantenzeitung »The German American« in New York. Später hat sie jahrzehntelang für die ehemaligen Häftlingsfrauen des KZ Ravensbrück gedolmetscht und übersetzt. Als nach der Wende in den neuen Bundesländern neue antifaschistische Strukturen entstanden, brachte Lore ihre internationalen Kontakte ein und arbeitete überall mit, ob bei der DRAFD, dem IVVdN oder dem BdA. Auch bei den Spanienkämpfern, die Ihrer Organisation den Namen »Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik 1936-1939« gaben, nachdem ihnen Lore von der Gründung eines Vereins mit diesem Namen in Frankreich berichtet hatte.
Vor 20 Jahren sind wir mit Lore nach Frankreich gereist. Sie wollte Gurs noch einmal sehen, das Lager, aus dem sie einst mit Hilfe von französischen Genossen geflüchtet war. Und sie wollte nach Kampfgefährten des deutschen Spanienkämpfers Norbert Kugler suchen, der nach dem Spanienkrieg Offizier in der französischen Résistance gewesen war. Lore hatte alles vorbereitet, korrespondiert, telefoniert und einen Plan aufgestellt. Eine unvergessliche Reise, auch für unseren Sohn, der damals erst elf Jahre war. Gebannt lauschte er den Berichten französischer Männer und Frauen, die Lore nicht nur übersetzen, sondern auch erklären musste. Zurück in Berlin wusste Lore, dass diese Reise in die Vergangenheit auch jungen Menschen etwas geben kann. Und hat sie dann mit über 80 Jahren noch zwei Mal wiederholt – als Bildungstour für junge Antifas aus Friedrichshain. Das war ihr Anspruch: Nicht nur Erfahrungen weiterzugeben, sondern auch Beziehungen zu stiften, in denen dieses Wissen weiter lebt. Und wer hätte das besser gekonnt als sie, die mit so vielen Menschen verbunden war. Wir alle haben Lores exzellente Sprachkenntnisse bewundert. Doch für sie waren sie vor allem eins: Mittel zu dem Zweck, Barrieren abzubauen und Menschen in Beziehungen zu bringen, die sich sonst nicht begegnet wären. Darum ging es ihr ja auch in der Arbeit als literarische Übersetzerin.
Bis ins hohe Alter war Lore eine schöne Frau, schlank und zierlich, das Gesicht umrahmt von dichten weißen Locken. Wenn sie lachte, überschlug sich ihre Stimme. Das war wie ein Markenzeichen, denn Lore lachte oft. Sie war offen, herzlich und charmant, aber auch bestimmt. Als ihre Augen in den letzten Lebensjahren immer schwächer wurden, war das für sie kein Grund, Hilfe anzunehmen. Mit der Bemerkung: »Ich bin schon erwachsen«, beharrte sie auf ihrer Eigenständigkeit, denn so hatte sie gelebt – konsequent und selbstbestimmt. So ist sie ihren Weg gegangen und ihren Idealen von Gerechtigkeit und Menschlichkeit gefolgt. Und so hat sie ihrem kranken Herzen ein bewundernswert erfülltes Leben abgerungen, indem sie tat, was möglich war.
»Lore Krügers Herz schlug immer links«, heißt es lapidar in dem Arte-Film, der im Vorraum ihrer Schau in einer Dauerschleife läuft. Ein Versuch der Übertragung ihrer Lebenshaltung in heutige Begriffe. Er ist nicht falsch. Aber ist er richtig? Wird das ihrem Leben gerecht?