Editorial
28. April 2015
Nach dem 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus gab es Stimmen, die meinten, das wäre wohl das letzte große Gedenken an jene Ereignisse gewesen, die das 20. Jahrhundert prägten. Zu weit entfernt von heutigen Erfahrungen läge diese Zeit und nach dem Ableben der meisten Zeugen würde das öffentliche Interesse ohnehin bald erlöschen. Doch diese »Schlussstrichmentalität«, die bei einigen Politkern bereits 10 Jahre früher, nach dem 50. Jahrestag der Befreiung, zu bemerken war, setzt sich weiterhin nicht durch. Das zeigte sich bereits im Januar, zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz und bestätigte sich laufend in den letzten Wochen. So viele Möglichkeiten, der Geschichte des 2. Weltkrieges und der Befreiung vom Faschismus nachzugehen und öffentlich über ihre Lehren und Konsequenzen zu diskutieren wie im Moment, gab es lange nicht. Das ist aber auch eine Folge der aktuellen Situation. 70 Jahre herrschte Frieden in Europa, doch auf einmal scheint er so bedroht, wie seit Jahrzehnten nicht. Alte Feindbilder feiern bedrohlich Auferstehung und wer etwas dagegen setzen will, muss sich der Frage stellen: Wer treibt hier zum Krieg und warum?
Eine Antwort darauf ist ohne Kenntnis der Geschichte nicht zu finden und die vor uns liegenden 70. Befreiungstage werden überall im Land Möglichkeiten zu Diskussionen bieten, in denen das Wissen und die Erfahrung von Antifaschistinnen und Antifaschisten gefragt sein werden – nicht nur zu historischen Problemen, sondern auch zu aktuellen Themen. Mit dieser Ausgabe der antifa wollen wir Argumente für solche Diskussionen liefern, zum Beispiel anhand des aktuellen Werkes des polnischen Historikers Rossolinski-Liebe über Stepan Bandera und die Geschichte des ukrainischen Nationalismus (Seite 23) oder mittels einer Analyse der Texte der umstrittenen Band »Bandbreite« (Seite 25). Doch die Befreiung ist nicht nur ein Grund zum Reden, sondern auch zum Feiern. Getreu dem Motto der Berliner VVN-BdA, die schon seit Jahren weiß: Wer nicht feiert, hat verloren!