Die linken Intellektuellen

geschrieben von Günther Bruns

3. November 2015

»Verirrte Bürger«? Kurt-Tucholsky-Gesellschaft tagte in Berlin

 

Wer war Kurt Tucholsky? Jeder hat seinen Namen schon mal gehört. Zur Auffrischung ein kleiner Abriss seines Lebens. Er wurde 1890 in Berlin als Sohn eines Kaufmanns geboren. Er studierte Jura und war kurze Zeit Bankvolontär. Seit 1924 lebte er meistens im Ausland und schrieb von dort Artikel. Er war Mitarbeiter und zeitweilig Herausgeber der »Weltbühne«. Ab 1929 lebte er in Schweden. 1933 verboten die Nazis die »Weltbühne«, verbrannten die Bücher des Schriftstellers und bürgerten ihn aus.

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Tucholsky starb 1935 in Schweden, vermutlich durch Selbstmord. Die Kurt-Tucholsky-Gesellschaft widmet sich dem Andenken des Autors und der Verbreitung seines Werkes. Auf Einladung der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft (KTG) trafen sich ca. 100 Teilnehmer zur diesjährigen Jahrestagung im Auditorium der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Mittelpunkt standen neben Kurt Tucholsky auch die übrigen Autoren des Weltbühne-Kreises. Von Ihnen ausgehend wurden Schlaglichter auf Intellektuelle und ihre gesellschaftliche Rolle heute geworfen.

Verirrte Bürger? Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft hatte zu dieser Thematik hochkarätige Referenten eingeladen, die sich dazu aus Sicht ihrer Fachgebiete äußerten. Auf diese Weise wurden gesellschaftliche Vergangenheit und Gegenwart aus ganz unterschiedlichen historisch-politischen und literarischen Perspektiven ausgeleuchtet.

Unter den Referenten waren diesmal Prof. Dr. Heribert Prantl (Tucholsky-Preisträger 1996), Dr. Ian King, Prof. Dr. Dieter Mayer, Prof. Dr. Werner Boldt. Prof. Dr. Wolfgang Beutin, Frank-Burkhard Habel und Dr. Ralf Klausnitzer. Ian King, London, der Vorsitzende der KTG, eröffnete und leitete die Tagung.

Zuerst kamen junge Nachwuchswissenschaft-lerinnen zu Wort. Die angehende Doktorandin Johanna Leitert stellte die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zum Thema »Die Weltbühne in der DDR« vor. Gut, dass die Forschungen etwa zum Thema »Weltbühne« von jungen Leuten weitergeführt werden. Mit musikalischen und tänzerischen Beiträgen begeisterten Schüler der Kurt-Tucholsky-Oberschule, Berlin Pankow. Sie erwiesen dem Namensgeber ihrer Schule alle Ehre.

Heribert Prantl, Jurist und Journalist, wie Tucholsky, schilderte die Macht oder Ohnmacht der Presse im Hinblick auf Veränderungen der Gesellschaft. Tucholsky sagte 1923, er habe zwar Erfolg, aber keinerlei Wirkung. Die Weltbühne und die Zeitungen, in denen er schrieb, hatten aufgrund ihrer Auflagen nur geringen Einfluss.

Prantl hob hervor, dass er sich für die Erhaltung der Grundrechte einsetze, dass der Finanzkapitalismus an vielen Miseren schuld sei, dass wir darauf dringen müssten, dass das Eigentum im Sinne des Grundgesetzes auch die Banken verpflichte und dass die Märkte sich nicht von der Moral lösen dürften.

Dr. Ian King erläuterte den Zwiespalt, in dem sich Tucholsky als Bürgerlicher befand, der mit aller Macht die Nazi-Herrschaft verhindern wollte, aber wenig Resonanz unter seinesgleichen fand. Er setzte seine Hoffnung auf die Arbeiterschaft, die aber heillos zerstritten war. Besonders schlimm empfand er es, dass die Sozialdemokraten zur Wahl Hindenburgs aufriefen, damit war der Weg in die Rechtsdiktatur geebnet.

Es sind Briefe aufgetaucht, die einen Briefwechsel zwischen Walter Hasenclever und Tucholsky in seinen letzten Jahren in Schweden dokumentieren. Prof. Dr. Mayer, Aschaffenburg, will sie herausgeben und erläutern. Allerdings hat Hasenclever, der während der deutschen Besetzung in Frankreich lebte, aus Angst vor den Nazis alle Schreiben Tucholskys vernichtet. Er hat sich später in einem Lager in Frankreich das Leben genommen. Prof. Dr. Werner Boldt, Erlangen, hat Leben und Leiden Ossietzkys dargestellt und sein Wirken im Kaiserreich und in der Republik.

Abgerundet wurde das Bild der kritischen Geister durch Wolfgang Beutin, Stormarn, in seinem Vortrag über den Wiener Schriftsteller Karl Kraus. Er stellte dessen schriftstellerische Leistung zwischen bürgerlicher Kulturkritik und revolutionärer Politik dar. Frank Burkhard Habel untersuchte, welchen Einfluss Weltbühne-Autoren aus der Zeit der Weimarer Republik später nach 1946 auf die Weltbühne in der DDR bzw. auf die Nachfolger »Das Blättchen« und »Ossietzky« nahmen.

Dr. Ralf Klausnitzer, Berlin, lehrt an der Humboldt-Universität. Er schlug den Bogen von der Zeit der Weimarer Republik zum Heute. Er untersuchte die gegenwärtigen Strömungen. Die Herausforderungen sind nicht geringer geworden. Er analysierte Begriffe wie »Wutbürger« und schlug Strategien zum Umgang damit vor.

Zum Abschluss und Höhepunkt der Tagung wurde der diesjährige Kurt-Tucholsky-Preis in einer feierlichen Stunde im Theater im Palais dem Literatur- und Theaterwissenschaftler Jochanan Trilse-Finkelstein übergeben.

Die Vorträge werden in einer Publikation der Tucholsky-Gesellschaft veröffentlicht. Sie sind dann über die Website der KTG zu bestellen.