Späte Rückkehr ins Amt
4. Januar 2016
Eine Erinnerung an Ilse Stöbe und ihre Familie
Wer vor 1990 mit der S-Bahn von Ostkreuz nach Friedrichshagen fuhr, konnte auf der linken Seite ein stattliches Schulgebäude in der Rummelsburger Marktstraße erblicken. Darauf stand in großen Lettern »Berufsschule Ilse Stöbe«. 1990 wurde die Inschrift getilgt. Seit dem 13. November 2015 erinnert an der Frankfurter Allee 233 auf Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg eine Gedenkstele an Ilse Stöbe, ihre Mutter Frieda und ihren Halbbruder Kurt Müller. Ermordet in Plötzensee, Ravensbrück und Brandenburg-Görden.
Ilse war in der Jungstraße14 aufgewachsen, die seit 1920 zum Stadtbezirk Friedrichshain gehört. Seit 1921 besuchte sie das Cecilien-Lyzeum, eine Höhere Mädchenschule. Heute beherbergt der imposante Bau die »Schule am Rathaus« Lichtenberg. Schülerinnen und Schüler hatten sich in den letzten Monaten mit dem Leben von Ilse Stöbe beschäftigt und darüber bei der Einweihung der Gedenkstele berichtet.
1931 war die Familie in Haus an der Frankfurter Allee gezogen. Das auf der Stele abgebildete Familienfoto hat vermutlich der 1903 geborene und in einer einer jüdischen Familie in Gleiwitz aufgewachsene Rudolf Herrnstadt aufgenommen. Ilse lernte den begabten Journalisten beim Berliner Tageblatt, einer großen einflussreichen liberalen Zeitung, kennen. Bald verband sie eine enge Freundschaft. Herrnstatt war seit 1930 für den sowjetischen militärischen Nachrichtendienst tätig.1931 folgte Ilse ihrem Freund. Die Sowjetunion bedeutete für beide eine Alternative zum krisengeschüttelten Kapitalismus. Dieses begehrte Land galt es zu beschirmen. In dieser Zeit arbeitete die 20jährige bereits als Sekretärin bei Theodor Wolff. Dem legendären Chefredakteur des Tageblatts gefiel die intelligente, selbstbewusste, lebenslustige und vielseitig interessierte junge Frau. Er schätzte ihre schnelle Auffassungsgabe, ihre zuverlässige und selbständige Arbeit.
Nach 1933 begann für Ilse Stöbe ein schwieriges Doppelleben mit zeitweiligen Aufträgen als »Kundschafterin« und ersten Schritten als freischaffende Journalistin. Es gelang ihr, sich mit Unterstützung von Rudolf Herrnstadt gegen zahlreiche Widerstände als Auslandskorrespondentin, einer Männerdomäne, für Schweizer und Anfang 1939 auch für deutsche Zeitungen in Warschau durchzusetzen.
1940 fand sie eine Anstellung in der Informationsabteilung des Auswärtigem Amtes. Die von Herrnstadt in Warschau begonnene vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Diplomaten Rudolf von Scheliha setzte sie fort. Sie leitete dessen geheime Berichte über die Vorbereitungen des Überfalls auf die Sowjetunion an die sowjetischen Botschaft weiter.
Ilse Stöbe handelte – weitgehend auf sich allein gestellt – mutig und umsichtig, begab sich in Gefahr und warnte Ende April 1941in einem Brief an Herrnstadt in Moskau »Haltet die Augen offen, macht Euch nichts vor«. Die sowjetische Führung unter Stalin mißtraute jedoch ihren Warnungen und schätzte sie als Desinformationen ein. Für den Kriegsfall waren keine Absprachen getroffen und keine Vorraussetzungen für eine Funkverbindung geschaffen worden. Der Nachrichtendienst der Roten Armee versuchte mehrmals, die unterbrochenen Kontakte erneut zu knüpfen. Von diesen vergeblichen Versuchen, die schließlich zu ihrer Festnahme führten, erfuhr sie erst in den Vernehmungen durch die Gestapo.
Am 14. Dezember 1942 verurteilte das Reichskriegsgericht Ilse Stöbe und Rudolf von Scheliha zum Tode. Im Januar 1943 versteckte Frieda Stöbes Schwester auf Bitten von Robert Havemann einen jüdischen Mitstreiter und dessen Mutter in ihrem Haus im Berliner Umland. Als die Gestapo Anfang September 1943 die Widerstandsgruppe »Europäische Union« aufdeckte, wurden auch Frieda Stöbe, ihre Schwester Anna Stappenbeck und ihr Sohn festgenommen, Ende Dezember 1943 in das KZ Ravensbrück verschleppt und dort 1944 umgebracht. Kurt Müller wurde am 26. Juni 1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden ermordet. Die Familie Stöbe war ausgelöscht.
Bereits am 11. Juli 2014 hatte Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, im Rahmen einer Feierstunde die um den Namen von Ilse Stöbe ergänzte Ehrentafel für in der NS-Zeit verfolgte und ermordete Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes eingeweiht. Zu dieser Anerkennung hat sicherlich auch das im Juni 2013 herausgegebene Buch zu Ilse Stöbe und auch der Beitrag von Elke Scherstjanoi »Ilse Stöbe: Verräterin oder Patriotin?« im Heft 1/2014 der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte beigetragen. Erstmals entstand ein aus unterschiedlichen Perspektiven recherchiertes Lebensbild der mutigen und tapferen Frau und wurde auf ihre widersprüchliche Rezeption in beiden deutschen Nachkriegesstaaten und in der Sowjetunion und nach 1990 in Rußland eingegangen. Veröffentlicht wurden auch Ilse Stöbes Artikel in Schweizer Zeitungen und letzte Briefe.