Aufenthalt mit Lernerfahrung
13. September 2016
Zum Leben und Werk von Hermann Kant (1926-2016)
Im Alter von 90 Jahren starb Mitte August der berühmte DDR-Schriftsteller Hermann Kant, Generationen von Lesern in der DDR bekannt, denen in der BRD zumindest durch seinen Roman »Die Aula«, in dem er in humorvoll-anschaulicher Weise die Aufbaujahre der DDR beschrieb.
Kant, der am 14. Juni 1926 in Hamburg als Arbeiterkind geboren wurde, kam als Jugendlicher mit seinen Eltern nach Mecklenburg, das seine neue Heimat wurde. Doch bevor er dort richtig heimisch wurde, schickte man ihn nach seiner Lehre Ende 1944 noch in den Krieg an die Ostfront. Er geriet schon nach kurzer Zeit in polnische Kriegsgefangenschaft. Dort begann für ihn ein Prozess des Umdenkens, der sein weiteres Leben prägte.
Zuerst kam er in das Warschauer Gefängnis Morkotów, in das die faschistischen Okkupanten zuvor polnische Nazigegner eingekerkert hatten. Dann kam er in ein Arbeitslager, das sich auf dem Gelände des vollkommen zerstörten Warschauer Ghettos befand. Er wurde an diesen beiden Orten ganz unmittelbar mit den Verbrechen von Wehrmacht und SS konfrontiert. Daraus zog er die Konsequenz, sich im Antifa-Komitee zu engagieren und wurde sogar Lehrer an der Antifa-Schule. Aus dieser Zeit resultierten auch seine ersten Kontakte mit Schriftstellern. So traf er Anna Seghers, die als Antifaschistin in die SBZ zurückgekehrt war. Sie beeindruckte ihn sehr. Folgerichtig entschied sich Herman Kant nach seiner Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1949 wieder nach Mecklenburg zurückzugehen und sich für einen sozialistischen Neubeginn zu engagieren.
Er holte an der Greifswalder »Arbeiter- und Bauernfakultät« (ABF) sein Abitur nach. Anschließend studierte er bis 1956 Germanistik an der Berliner Humboldt-Universität. Wie stark ihn die Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit beschäftigte, zeigte das Thema seiner Diplomarbeit: »Die Darstellung der ideologisch-politischen Struktur des faschistischen deutschen Heeres in Pliviers Roman Stalingrad«.
Nach dem Studium blieb er noch drei Jahre an der Universität, erst als wissenschaftlicher Assistent, dann als Chefredakteur der Studentenzeitung. Hier verstärkte sich sein Interesse am Schreiben.
Als Mitarbeiter des Schriftstellerverbandes veröffentlichte er bereits 1962 den Erzählband »Ein bisschen Südsee«, der in unterhaltsamen Miniaturen den DDR-Alltag und die persönlichen Entscheidungen von Menschen beschrieb. Fast 20 Jahre später1981 folgte ein weiterer Band solcher Erzählungen »Der dritte Nagel«.
Seinen Durchbruch erzielte er 1965 mit dem Roman »Die Aula«, der Geschichte der ABF. In einer autobiographisch geprägten Darstellung mit einer nüchternen, teils selbst-ironischen Sprache blickt er auf die Anfangsjahre der DDR zurück und lässt den Leser miterleben, warum sich die meisten Protagonisten für die DDR entschieden hatten. Dieser Roman wurde in 15 Sprachen übersetzt und auch in der BRD sehr positiv rezipiert.
Sein wohl wichtigstes Werk ist der ebenfalls autobiographisch geprägte Roman »Der Aufenthalt« von 1976. Er erzählt die Geschichte Mark Niebuhrs, eines deutschen Wehrmachtssoldaten, der irrtümlich unter dem Vorwurf ein SS-Verbrecher zu sein, in Polen verhaftet wird. Der Roman beschreibt in eindringlicher Form den Erkenntnisprozess des Protagonisten, der sich zuerst gegen die falsche Beschuldigung wehrt, um später zu verstehen, dass seine deutschen Mitgefangenen kaum bereit waren, sich mit ihren verbrecherischen Taten auseinanderzusetzen. Kant vermittelt den Lesern – auch in der DDR – dass das deutsch-polnische Verhältnis ohne eine Annahme der deutschen Verantwortung für diese Verbrechen immer belastet bleiben würde. Diese Perspektive stand durchaus im Spannungsverhältnis zu dem harmonisierenden Geschichtsverständnis, dass mit der gesellschaftlichen Veränderung in der DDR auch dieses Thema »gelöst« sei.
Wie brisant die Thematik war, zeigte sich auch bei der Verfilmung dieses Romans durch Frank Beyer. Auf polnischen Einspruch hin wurde dieser Film nicht bei der Berlinale 1983 gezeigt und war in der DDR nur in Studiokinos zu sehen.
Nach dem Ende der DDR versuchte das bürgerliche Feuilleton, Hermann Kant auf seine Rolle im DDR-Schriftstellerverband, den er – als Nachfolger von Anna Seghers – seit 1978 leitete, und vorgebliche MfS-Kontakte zu reduzieren. Aus diesem Grund zog er sich seit den 90er Jahren weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück, schrieb und veröffentlichte aber noch mehrere Werke, u.a. »Okarina«, einen »Nachfolge-Roman« zum »Aufenthalt«.
Seine Überzeugung hat er nicht aufgegeben. Vor wenigen Jahren erklärte er in einem »Spiegel«-Interview:
»Ich war ein überzeugter Erbauer der DDR, ich wollte die. Ich wollte sie zwar nicht so, wie sie dann geworden ist, aber ich wollte einen Sieg. Das alte Deutschland wollte ich nicht mehr.«