Leitkultur mit Belehrung
13. September 2016
»Bayerische Werte« sollen per Gesetz vor dem Verfall geschützt werden
Nach altbekannter CSU-Manier »Mir san de mehran« will die Staatsregierung des Freistaates Bayern ein »Integrationsgesetz« durchdrücken, das von der gesamten Landtagsopposition und zahlreichen Gewerkschaften und Verbänden abgelehnt wird.
Geht es der Staatsregierung überhaupt um Integration? Wohl eher nicht, wie im Gesetzentwurf zu lesen: »Diese identitätsstiftende Prägung unseres Landes (Leitkultur) … zu wahren und zu schützen ist Zweck dieses Gesetzes.« Es soll also die »Leitkultur« vor den Einwanderern geschützt werden. Der Gesetzestext belehrt uns, dass »die gewachsene und charakteristisch-kollektive Prägung unseres Landes erhalten bleiben« soll. »Bayern ist geformt von gewachsenem Brauchtum, von Sitten und Traditionen«, Migranten seien verpflichtet, »sich in die von ihnen hier angetroffene Kultur und Wertelandschaft, in Sitten und Umgangsformen einzufügen.« Die »bayerische Identität« mit Brauchtum, Sitten und Umgangsformen (Ostereiersuchen und Bierzelt?), die freilich nur in der Phantasie von CSU-Funktionären existiert, wird »allen Migrantinnen und Migranten vor- und aufgegeben.«
Die Liste der ausländerfeindlichen Vorhaben ist lang: Flüchtlingskinder in den Abschiebelagern sollen vom Schulbesuch ausgeschlossen, Kosten für Deutschkurse bei Nichtbestehen dem Flüchtling auferlegt werden wie auch Dolmetscher bei Ämtern vom Migranten zu bezahlen sind, der ja, so die Begründung zynisch, die Kosten dafür verursacht. Ein weiterer Passus wird dafür sorgen, dass Migranten von Sozialwohnungen ferngehalten werden: »Es sollen … für eine … zu belegende Wohnung möglichst nur Personen benannt werden, deren Zuzug keine unausgeglichene Bewohnerstruktur schafft oder verfestigt.« Damit wird Sozialer Wohnungsbau faktisch ad absurdum geführt, denn: »Das Ziel stabiler Bewohnerstrukturen … kann auch unterschiedliche Bildungs-, Einkommensschichten oder Milieus betreffen und will damit … eine allzu einseitige Ausrichtung von Stadtvierteln etc. vermeiden.« An dieser Stelle fragt der Mieterbund zurecht, wie die Regierung denn Einkommensverhältnisse von Mietern ermitteln will. Datenschutz? Braucht´s bei der CSU nicht.
Die Zulassung »nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer« zu kommunalen Einrichtungen soll künftig von einer »Belehrung« abhängig gemacht werden. Begründung: »Die Vorschrift reagiert auf Vorkommnisse vor allem in kommunalen Schwimmbädern … und soll … kommunale Einrichtungen verstärkt davor … bewahren, dass sie von ausländischen Mitbürgern … entgegen den üblichen Sitten und Gebräuchen zweckentfremdet werden.« Wie soll das in der Praxis aussehen? Wer blond und blauäugig ist, wird durchgewunken, wer dunkelhäutig ist, muss bei der Kassenfrau den Ausweis zeigen und sich »belehren« lassen?
Der Gesetzentwurf hat eigens den Dreivierteldeutschen kreiert, qua definitione ein Mensch mit einem im Ausland geborenen Großelternteil.
Die CSU dekretiert »Jeder Einzelne ist … zur Loyalität gegenüber Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen verpflichtet.« Sie will Obrigkeit von Gottes Gnaden und treugehorsame Untertanen und braucht daher im Gesetzentwuf den Disziplinierungs-Artikel 13: »Wer durch demonstrative Regelverstöße, Verunglimpfen oder sonst durch nach außen gerichtetes Verhalten beharrlich zum Ausdruck bringt, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung … ablehnt, kann durch die Sicherheitsbehörden verpflichtet werden, sich einem Grundkurs über die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu unterziehen.« Die Begründung lautet: »Art 13 hat durchgängig präventiven Charakter und will bereits im Vorfeld strafrechtlicher Relevanz staatliche Handlungsmöglichkeiten schaffen. Provokante Handlungen … können … das Vertrauen in die Staatsmacht beeinträchtigen. … Die Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols kann sich dabei insbesondere in grob ungebührlichem Verhalten gegenüber Einsatzkräften äußern. … Die Regelung ist dabei – schon um nicht diskriminierend zu sein – nicht auf Ausländer und Migranten beschränkt. Auch wer als Einheimischer durch entsprechendes Verhalten auffällt, kann daher zu einer entsprechenden Belehrung vorgeladen werden. Auch bei ihm besteht in diesem Falle ja im Zweifel Integrationsbedarf hinsichtlich der geltenden Rechts- und Werteordnung.«
Vorfeld strafrechtlicher Relevanz? Es geht ausdrücklich nicht um Straftaten. Kinder zu schlagen ist eine Straftat. Einen Polizisten beleidigen ist eine Straftat. Darum geht es also nicht. Sogar die »Gleichgültigkeit« gegenüber der »Werteordnung« (Illoyalität gegenüber dem »Volk«?) wird mit »Belehrung« geahndet, die nicht von einem Gericht, sondern von einem Beamten z. B. im Innenministerium willkürlich verfügt wird. Was alles als »Ablehnung der FDGO« gelten kann hat die VVN-BdA erfahren: »In der [VVN-BdA] werden auch die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte als wesentliches Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung missachtet. Dies kommt verbal in dem bekannten und von der [VVN-BdA] im Munde geführten Slogan »Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen« zum Ausdruck.«
Der von der CSU-Staatsregierung vorgelegte Entwurf eines »Bayerischen Integrationsgesetzes« hat den Landtag in Erster Lesung passiert und soll im Herbst verabschiedet werden. Ein breites Bündnis mobilisiert dagegen. Für den 22. Oktober ist eine zentrale Demonstration geplant. Sollte das Gesetz im Landtag verabschiedet werden, wird Verfassungsklage erhoben.