Gewährenlassen ist Hilfe
3. Dezember 2016
Mehr als Mängel bei der Bekämpfung der rechten Gefahren
In den letzten Tagen und Wochen gab es eine Reihe von Ereignissen und Vorgängen, bei denen ein ähnliches Grundmuster sichtbar wurde: In den Sicherheitsorganen, in der Polizei, in den Geheimdiensten und auch in der Justiz, ebenso wie in Behörden und in der verantwortlichen Politik zeigt sich eine beängstigende Bandbreite der Unterschätzung und Bagatellisierung rechtspopulistischer, rechtsextremer, rassistischer und neonazistischer Kräfte und Gefahren, bis hin zum Wegsehen, Gewährenlassen oder gar (zumindest indirekter) Unterstützung.
Da tobten sich in Bautzen – wie bereits vorher und gleichzeitig an anderen sächsischen Orten – Neonazis, Rassisten und Menschenhasser tage- und wochenlang aus, beschimpften und bedrohten Flüchtlinge und deren Helfer.
Am gleichen Ort war es im Februar, nachdem eine geplante Flüchtlingsunterkunft angezündet worden war, gar zu einer Beifalls- und Freudenkundgebung von Neonazis und rassistischem Mob gekommen – ähnlich wie seinerzeit in Hoyerswerda.
Erst als sich jetzt auf dem Bautzener Kornmarkt junge Flüchtlinge, die das Ziel der neonazistischen Angriffe waren, auch körperlich wehrten und zurückschlugen, schritten Polizei und Behörden ein – mit Maßnahmen gegen die Flüchtlinge, nicht gegen die Neonazis. Die jungen Flüchtlinge erhielten Ausgangsverbot; sie durften ihre Unterkunft nicht verlassen. Damit hatten die Neonazis und ihre Sympathisanten freies Feld, auch für neue Aufmärsche, bei denen dann unter anderem auch wieder Journalisten angegriffen wurden.
In Dresden ließen Ordnungsbehörde und Polizei – selbst nach vorangegangenen Sprengstoffanschlägen u.a. gegen eine Moschee – einen Trupp von Pegida-Aktiven, Neonazis und Anhängern vor der Dresdner Frauenkirche bei der Veranstaltung zum Tag der Einheit Gäste und Besucher aus unmittelbarer Nähe anbrüllen, beschimpfen und vollgrölen. Ein aufsichtsführender Polizeibeamter, der über einen Lautsprecher Mitteilungen verlas, wünschte den Grölern gar noch einen »erfolgreichen Tag«.
Die Bilder der grölenden und pöbelnden Randalierer gingen durch nahezu alle Medien. Sie dokumentierten unübersehbar das behördliche und polizeiliche Gewährenlassen. Ein Umstand, der Demonstranten gegen Nazis niemals zugute gekommen wäre. Ein Beobachter stellte fest: »Man hätte das Desaster verhindern können, wenn Polizei und Versammlungsbehörde sich der Pegida-Störer mit der Strenge angenommen hätten, die andere Demonstranten in der Stadt schon erfahren haben« (Bernhard Honnigfort in der »Frankfurter Rundschau« vom 5.10.2016).
In Leipzig demonstrierten Polizei und Verfassungsschutz im Fall des vermutlich potentiellen syrischen Attentäters Dschaler Al-Bakr ihre (gewollte?) Unfähigkeit, diesen potentiellen Attentäter zu fassen. Sie ließen ihn aus dem polizeilich umstellten Haus entkommen und konnten ihn auch anschließend trotz umfassender Razzien, Überwachungen und Durchsuchungen nicht finden. Erst syrische Landsleute des Gesuchten überwältigten den Verdächtigen und übergaben ihn der Polizei, nachdem sie diese benachrichtigt hatten.
Im Gefängnis konnte der vermutliche Terrorist dann ungehindert Selbstmord begehen. Auch hier dominierte offenkundig Wegsehen oder Gleichgültigkeit und Gewährenlassen.
Kurze Zeit später wurden dann im fränkischen Georgensgmünd Polizisten selbst Opfer der weitverbreiteten Verharmlosung und Unterschätzung rechtsextremer Kräfte. Ein sogenannter »Reichsbürger« schoss drei Polizeibeamte nieder, als die Polizei sein Haus betreten wollte, um ihm seine zahlreichen Waffen abzunehmen, die sich ,wie bei vielen anderen »Reichsbürgern« auch, legal mit Waffenschein in seinem Besitz befanden.
Bis zum Zeitpunkt der Schüsse wurden die »Reichsbürger«, die die Weiter-Existenz und Weitergeltung des »Deutschen Reiches« und dessen »letztgültigen« Reichskanzlers, des Nazi-Admirals Dönitz, – und damit auch des Nazi-Reiches – beanspruchen, bundesweit mit wenigen Ausnahmen vorwiegend als harmlose »Spinner« abgetan und nicht weiter beachtet.
Selbst noch nach den Schüssen ließ beispielsweise der hessische Verfassungsschutz verkünden, von den »Reichsbürgern« gehe »keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit« aus (FAZ vom 21.10.2016).
Allen diesen Fällen, die gravierende Beispiele der rechtsextremen Gefahr und Bedrohung sind, liegt das gleiche Grundmuster politischer und polizeilicher Unfähigkeit und Unwilligkeit zugrunde. Hier herrscht ganz offensichtlich eine Grundeinstellung vor, die bereits eingangs als Unterschätzung und Bagatellisierung bis hin zum Gewährenlassen oder gar Unterstützen charakterisiert wurden.
Ebenso wie erst zu Beginn der Aufdeckung der NSU-Morde mehr zufällig bekannt wurde, dass in Baden-Württemberg mehrere Polizeibeamte Verbindung zum Ku-Klux-Klan hatten, so wurde erst jetzt nach den Schüssen auf die Polizisten bekannt, dass in Bayern und in Sachsen-Anhalt mehrere Polizeibeamte zu den »Reichsbürgern« gehören. In diesen, sicher nicht zu verallgemeinernden, Fällen gibt es mehr als Sympathie für Rechts – inmitten der Polizei.